Theodor Wilhelm Engelmann an Ernst Haeckel, Berlin, 17. Oktober 1904
Berlin 17/X. 04
Theuerster Freund und Meister!
Zu meiner grossen Freude wurde mir heute aus Stuttgart ein schön gebundenes Exemplar Deiner „Lebenswunder“ mit einliegender Widmung von Deiner Hand zugesandt. Herzlichen Dank dafür, wie für den Genuss der mir schon die Lectüre weniger Capitel heute bereitet hat. Ich bin, wie immer bei einem neuen Werke von Dir, in staunender Bewunderung und glaube Dir nur Eines nicht: dass Du mit diesem Werke einen Strich unter Dein philosophisches Lebenswerk machen willst. Die Causalität wird Dein Phronema anders dirigiren. ||
Wenn ich nicht aus der Vorrede ersehen hätte, was Du durch Briefe von dem Dank Deiner Leser zu leiden hast, würde ich ausführlicher werden mögen. Nun aber darf ich Dir doch soviel wohl sagen, dass ich nicht nur genossen sondern auch bereits gelernt habe, mehr als aus manchem dicken Buche strenger Observanz. Beneidenwerth ist nicht bloss die Fülle der Thatsachen, die Dir auch auf nicht selbstbebauten Gebieten immer zur Verfügung steht, sondern namentlich auch die vollendete Sicherheit mit der Du || die Thatsachen zu ordnen, in natürlichen Zusammenhang zu bringen, überall das Wesentliche hervorzuheben, das Unnöthige wegzulassen verstehst. Die klare Formulirung der grossen Probleme, die wundervolle Natürlichkeit und Bestimmtheit der Darstellung hast Du förmlich zur Virtuosität ausgebildet, allerdings nicht erst heute! Das Capitel über Lebensursprung las ich mit wahrem Hochgenuss und unterschreibe fast jeden Satz. Ebenso im 16ten Capitel. Ueberhaupt – ! aber ich darf Deine Geduld nicht ermüden! Lieber lese ich jetzt weiter und wiederhole nur meinen Dank, mit dem beschämenden Gefühl nur Empfangender || bleiben zu müssen.
In alter, herzlicher Verehrung, der sich auch meine Frau treulichst anschliesst
Immer Dein
Th. W. Engelmann.