Radtke jun., Albert

Albert Radtke an Ernst Haeckel, Cismar, 15. Februar 1909

Albert Radtke jun.

Cismar i/Holst. 15/2.09.

(:früher Labes Pomm.:)

Euer Excellenz!

Vielleicht erinnern Sie sich meiner noch aus früherer Zeit; und weil Ihnen mein Name möglicherweise nocha nicht ganz aus dem Gedächtnis entschwunden ist, so wollen Sie gütigst gestatten, daß ich wieder mal Ew. Excellenz mich brieflich nahe. Wollen Sie bitte geneigtest die Anlage als Zeichen tiefster Ergebenheit und || als Ausdruck von Dankbarkeit, die ich Ihnen in gewissem Sinne schuldig bin, entgegennehmen. Und ich würde mich herzlich freuen, sofern Sie die Anlage nur irgendwie etwas wohlgesinnt annehmen; und ich würde glücklich sein, wenn der Inhalt auch nur ein wenig das Gemüt Ew. Excellenz erfreute.

In meinen beiden früheren an Sie gerichteten Briefen, trug ich Ihnen stets eine Bitte an, und wird auch || diesmal meine „Unverfrorenheit“ Sie nicht so ganz unerwartet überraschen: ich möchte Ew. Excellenz sehr ergebenst um „deren Bildnis mit eigener Unterschrift“ gebeten haben, was mir als zweites Stück (: vor einigen Jahren geruhtenb Sie, mir die Broschüre „Monismus“ gütigst zu überlassen :) der Erinnerung an Sie ein teures Angedenken sein würde.

Nun möchte ich Ew. Exzellenz noch || herzlichste Glückwünsche aussprechen zum 16. dieses Monats. Möge es Ihnen beschieden sein, sich noch recht lange eines guten Wohlergehensc zu erfreuen, und mögen Sie noch viele Früchte Ihres wahren Wirkens und Schaffens entsprießen sehen!

Nun verbleibe ich Ihr Ihnen

stets ergebenster

Albert Radtke jun.

[Beilage: Gedicht mit egh. Illustrationen:]

Als Nacht noch herrschte über Chaos und Fluten,

Als noch die Kräfte scheinbar-träge ruhten

Im Mutterschoß der schwangeren Natur:

Da rief ein Gott „es werde Licht!“ –

Und lebenschäumend schossen Feuerblitze

Vom majestätisch-fernen Göttersitze;

Der Lebensquell, er wogte auf und ab,

Und Leben kam aus dunkler Nacht. –

Von Gott kam Leben – nicht von einem Götzen,

Wie ihn die Phantasie sich oft mag setzen –

Von ihm, dem Geist, vereinet mit Substanz,

Von ihm der Schöpfung Strahlenkranz. –

Des Menschen Geist, ein Teil der Urkraft,

Der Kraft, die lebt in der Substanz;

Des Menschen Geist, er sinnt und schafft,

Er bildet sich den Mythenkranz,

Er sinnt und forscht nach Wahrheit.

Und wenn auch Volk um Volk verschwindet,

Die Urkraft bleibet stets entzündet;

Und wenn auch tausend Welten spalten,

Der Geist, er wird im Chaos walten:

Und Kraft und Stoff, das Einig-Ganze,

Sie weben fort im ew’gen Schaffenstanze!

Es mag der Mensch im Irrtum sich befinden,

Es mag das Wissen auch nur Bruchstück sein:

Jedoch die wahren Gründe zu ergründen,

Das ist allein schon strebenswert!

Und wenn die grimmen Feinde deiner lachen,

Und wenn sie drohn mit List und lautem Schrei’n:

Bleib du dir treu und laß die andern machen,

Die Nachwelt erst erkennt den Wert! –

Und Genius, Dir, im lock’gen Silberweiß,

Dur, der Du Deine ganzen Kräfte

Dem Dienst’ der wahrheitssuchenden Kräfte

Gewidmet, Dir des Ruhmes Preis!

Seiner Exzellenz, Herrn Wirklichen Geheimen Rat Professor Dr. Haeckel-Jena

zum 16. Februar 1909 tiefergebenst gewidmet von

Albert Radtke jun.

Cismar i/Holstein.

a eingef.: noch; b irrtüml.: gefruhten; c gestr.: Wohlstands; eingef.: Wohlergehens

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
15.02.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 42107
ID
42107