Engelmann, Theodor Wilhelm

Theodor Wilhelm Engelmann an Ernst Haeckel, Utrecht, 2. Juli 1897

Utrecht 2 Juli 1897

Liebster Freund!

Das hätte ich mir allerdings nicht träumen lassen, daß ich noch einmal an du Bois Stelle unter Berliner Geheimräthen meine Tage beschließen solle. Du begreifst, daß ich nicht leichtsinnig mich dazu verführen ließ, sondern die Sache mit der Sorgfalt die ein höchst complicirtes Problem verdient, zuvor untersucht habe. Fünf Tage war ich damit in Berlin von früh bis Abend beschäftigt. Noch am 4ten Tage war ich zweifelhaft, denn es schien mir kein Ausweg aus den Schwierigkeiten, der mir eine Uebernahme der Stelle mit gutem Gewissen erlaubt hätte. Ich hatte von vornherein erklärt, daß ich die physiologische Chemie, auch in dem üblichen beschränkten || Umfang für Mediciner, nicht übernehmen könne, da ich kein Chemiker sei, u. daß mir auch die hohe Mathematik ein verschlossenes Buch sei u. ich deshalb in vielen Capiteln der höheren physikalischen Physiologie mich nur als Laien betrachten dürfe. Das schien Hrn Althoff aber nicht abzuschrecken u. als ich am 5ten Tage einen, wie ich glaube, sehr guten Reorganisationsplan entdeckte, der für alle Betheiligten gleich große Vortheile versprach, ging man sofort darauf ein u. hat nun Alles bewilligt. Von besonderem Werth war mir, daß ich durch meinen Besuch die Ueberzeugung gewinnen konnte, es würde sich ein gutes persönliches Verhältniß zu den 4 Abtheilungsvorständen (König, Thierfelder, Munk, Frisch) entwickeln könnena, die unter meiner Oberleitung den Dienst im Laboratorium, soweit es die praktischen Uebungen u. die selbstständigen Arbeiten || in der betreffenden Abtheilung angeht, selbstständig zu besorgen u. zu leisten haben. Da ich das Colleg so eingerichtet habe, daß in den ersten 4 Wochen des Wintersemesters Prof. Thierfelder den physiologisch Chemischen Theil der Psychologie u. in den letzten 4 Wochen des Sommersemesters Prof. König die spezielle Physiologie der Sinne lesen wird, so werde ich kaum mehr als 2 Monate im Sommer u. 3 im Winter zu lesen brauchen, habe also schöne Zeit zum Arbeiten. Das Einzige vor dem ich mich fürchte, sind die Masse Menschen, die einen überlaufen werden. Meine Frau aber sowohl wie ich haben uns fest vorgenommen in dieser Hinsicht bis an die äußersten Grenzen der Zurückhaltung zu gehen. Im ersten Jahr namentlich wird größte Vorsicht nöthig sein. Man sagt, es sei möglich, in Berlin ruhig zu leben. Ohne einige Grobheit halte ichs kaum für ausführbar. – Das Entgegenkommen der Regierung übertraf die höchsten Erwartungen u. bei meiner persönlichen || Anwesenheit hatte es sogar etwas von Bauernfängerei mit Kümmelblättchen, wobei der Kümmel durch Champagner u. die Spelunke durch eine Festtafel im Ausstellungspark mit Excellenzen u. Berühmtheiten ersetzt war. Ich habe aber erst von Utrecht aus mir Alles, nach sorgfältiger Überlegung u. Formulirung, vom Minister schriftlich geben lassen um für alle Fälle gedeckt zu sein. Personen wechseln jetzt schnell u. wer weiß was der Nächste wollen u. glauben wird!?

Auch die Mitglieder der Fakultät, von denen ich 6 sprach, waren sehr entgegenkommend u. ich darf glauben ihnen allen willkommen zu sein. Wenn nun die Kräfte aushalten – mit 54 Jahren darf ich mir keine Illusionen machen – hoffe ich keine Thorheit begangen zu haben. Jedenfalls beabsichtige ich mich großer „Wurstigkeit“ gegen Alles zu befleißigen, was einem in so exponirter Stellung die Freude am Dasein verderben könnte. Uebrigens möge der gute Genius von Johannes Müller einige Strahlen auf mich niedersenden!

Von Herzen

Dein alter

Th. W. Engelmann.

a korr. aus: könnten

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
02.07.1897
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4205
ID
4205