Ernst Haeckel an Wilhelm Peters, Jena, 30. Januar 1865
Jena 30. Januar 1865
Verehrter Freund!
Beifolgend erlaube ich mir, Ihnen einen kurzen Bericht über meine Entdeckung einer höchst merkwürdigen Form des Generationswechsels bei den Geryoniden und Aeginiden einzusenden, mit der ergenbensten Bitte, denselben in der nächsten Sitzung der Akademie vorzulesena und zum Durcke in den Monatsberichten einzureichen. Sie werden beim durchlesen dieser wunderbaren Heterogenie nicht weniger erstaunt sein, als ich selbst es bei der Entdeckung war. Hätte ich nicht die überzeugenden Praeparate beständig vor Augen und mich in dem letzten halben Jahre tagtäglich durch die genaueste anatomische Untersuchung mit diesen wunderbaren Verhältnissen völligb vertraut gemacht, ich müßte noch heute selbst daran zweifeln. ||
Zu meiner großen Befriedigung konnte ich die ganzen Vorgänge meinem Freunde Gegenbaur demonstriren, der sich mit eigenen Augen von der factischen Existenz dieses räthselhaften Vorgangs überzeugte. Es ist kein Zweifel mehr, daß die Cumina rhododactylia im Magen der geschlechtsreifen Geryonia hastata als Knospe aus deren Zunge hervorsproßt und daß diese Knospen, scheinbar einer ganz verschiedenen Medusenfamilie angehörig, nachher selbst wieder geschlechtsreif werden.
Ich ersuche Sie, beim Vortrage in der Akademie auch die beifolgenden Abbildungen mit vorzulegen, welche wenigstens einigermaßen das Wesentlichste des Vorganges versinnlichen. ||
Hoffentlich befinden Sie selbst und Ihre liebe Familie sich wohl. Ich hoffe, Sie in den Osterferien in Berlin besuchen zu können. Bei meinem kurzen Aufenthalte zu Weihnachten war mir dies leider nicht möglich, da ich durch die Krankheit meines Vaters und andere sehr traurige Verhältnisse verhindert war, Freunde zu besuchen.
Mit der Bitte, mich Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin bestens zu empfehlen
Ihr ergebenster
E. Haeckel
An Martens herzliche Grüße.
P.S. Einliegenden Brief darf ich Sie wohl bitten in den ersten besten Briefkasten zu stecken.
a gestr.: einzureichen; eingef.: vorzulesen; b eingef.: völlig;