Verworn, Max

Max Verworn an Ernst Haeckel, Tor, 6. Februar 1891

Tor, 6.II.91.

Sehr verehrter Herr Professor!

Für die freundliche Übersendung Ihrer Plankton-Studien, die ich mit grossem Interesse gelesen habe, sowie für Ihren Brief vom 10.I.91. danke ich Ihnen vielmals. Seit Anfang Januar bin ich in Tor, wo das Andenken an Ihre Anwesenheit hier noch in hohen Ehren steht. Der alte Hennên lässt Ihnen durch mich seinen Gruss übermitteln; leider wird der prächtige Alte keine langen Jahre mehr als Deutscher Consular-Agent die Deutschen Naturforscher, welche nach Tor kommen, || bewillkommenen, da er an einer Nephritis leidet, die ihm bereits starken Hydrops der Beine zugezogen hat. Als ich ankam, musste ich seine Gastfreundschaft mehr als eine Woche in Anspruch nehmen, da Herr Kayser seit der Cholera-Quarantäne mit seiner Frau, die er hierher mitgebracht hat, ins Gebirge gegangen war und so keine Nachricht von meiner Ankunft hatte. Infolge der Cholera ist auch bis jetzt von einer „wissenschaftlichen Station“ noch nicht die Rede und wir haben uns nur mit Mühe eine Hütte mit Tischen und Glasfenstern etc soweit eingerichtet, dass ich darin unter Verzicht auf Vieles, was ich nach dem Prospect || vorausgesetzt hatte, arbeiten kann. Aber Herr Kayser ist rastlos thätig und würde entschieden, wenn ihn die Cholerawirtschaft nicht gestört hätte, alles fertig eingerichtet haben, soweit dies überhaupt im Orient möglich ist. Es ist unter den hiesigen Verhältnissen eine enorme Aufgabe eine „wissenschaftliche Station“ zu gründen und man wird ganz zufrieden sein, wenn man nur einen guten Arbeitsplatz, unbeeinflusst von den Stimmungen der Witterung findet. Ich bin Herrn Kayser für seinen Diensteifer und für seine Vermittelung beim Verkehr mit den Eingeborenen, ohne die ich unter ihnen überhaupt nicht leben könnte, zu || grossem Dank verpflichtet und werde suchen ihn bei seinem Unternehmen, wo ich kann zu unterstützen, denn ich bin überzeugt, dass sein Unternehmen gedeihen und der Wissenschaft äußerst nützlich sein wird, da ein Mann wie Kayser und ein solcher Platz zum Arbeiten für den Naturforscher unschätzbar sind.

Leider ist nach den ersten 8 guten Tagen auch hier wieder das Wetter miserabel, so dass die wunderbare Farbenpracht, die sich mir in den ersten Tagen, besonders Nachmittags täglich enthüllte, jetzt einem trüben Grau Platz gemacht hat. Dazu pfeift der Wind und man friert den ganzen Tag. Von pelagischen Thieren ist mir daher noch garnichts zu Gesicht gekommena, auch habe ich, da das Meer immer sehr hoch war, nur wenig hinaus- || fahren können. Ich glaube übrigens, dass der Hafen von Tor sowie die ganzen Küstenzone der Sinaihalbinsel wegen des bis dicht unter die Wasseroberfläche reichenden Riffwalls dem Gedeihen einer reichen pelagischen Fauna weniger günstig ist als andere Orte, doch werde ich bei günstigerem Wetter mir Mühe geben für Ihre Plankton-Studien einiges Material zu sammeln. In Villafranca habe ich etwas Auftrieb conserviert. Auf meiner Fahrt mit dem Sambûk von Suez nach Tor habe ich während eines ganzen Tages nach pelagischen Thieren ausgespäht, aber an der Oberfläche trotz mässigen Wellenganges keine Fauna bemerken können, was mich sehr in Erstaunen setzte. Da ich augenblick- || lich an Foraminiferen arbeite und an dem ungemein häufigen, oft fast 1 zm grossen Orbitolites ein ausgezeichnetes Object gefunden habe, so bin ich von den Tücken des pelagischen Materials und dem schlechten Wetter ziemlich unabhängig. In der vorigen Woche habe ich mit Kayser eine 7 tägige Excursion nach dem Râs Mohámmed, der Südspitze der Halbinsel, gemacht, wo die Fauna eine so üppige Entfaltung hat, dass sie jeder Beschreibung spottet. Leider besitzen wir noch garkeine grösseren Glasgefässe und Flüssigkeiten zum Conservieren, so dass ich mich auf einige kleine Sachen beschränken musste. Nach den Angaben || der Araber soll auch am Râs, wo das Ufer plötzlich senkrecht in die Tiefe abfällt, die pelagische Fauna, besonders an Medusen viel reicher entwickelt sein als in Tor und Herr Kayser hat die Absicht, auch hier eine Hütte zum Arbeiten einzurichten.

Das Reisen durch die Wüste und das Leben unter den Beduinen ist das interessanteste, was ich neben meinen Arbeiten auf der Reise kennen gelernt habe. Als Hakîm, der bei den Arabern in grossem Ansehen b steht, habe ich die beste Gelegenheit das Leben der Beduinen auch in seinen sonst den Europäern verborgenen Tiefen gründlich kennen zu lernen und bin wohl ausser Kayser der einzige Europäer, der es || so gründlich studiert hat. Ich hätte es nie geglaubt dass ich jemals medizinische Praxis ausüben c, am allerwenigsten aber, dass ich in der Wüste als Wüstendoctor niederkommen würde. Ich muss immer wieder lachen wenn ich daran denke. Da aber mein Interesse an den Krankheiten der Araber doch immer nur ein beschränktes istd und die Störung beim Arbeiten immer grösser zu werden droht, da fast 10–15 Patienten täglich mit allen möglichen und unmöglichen Krankheiten meine Schwelle belagern, so habe ich jetzt meine Praxis etwas beschnitten. Sie werden gewiss recht lachen über meine medizinische Wirksamkeit. Ich thue es auch und bleibe mit vielen herzlichen Grüssen an Sie und alle Freunde in Jena

immer Ihr treuer

Max Verworn.

a korr. aus: bekommen; b gestr.: stehht; c gestr.: würde; d eingef. mit Einfügungszeichen: ist

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.02.1891
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 41886
ID
41886