Engelmann, Ernst

Ernst Engelmann an Ernst Haeckel, Magdeburg, 6. September 1901

Magdeburg, d. 6. September 1901.

Hoch verehrter Herr Geheimrat!

Verzeihen Sie einem Ihnen gänzlich Unbekannten, wenn er Ihnen mit einem Anliegen naht, das Sie eines kleinen Teils Ihrer für Sie selbst und für die Menschheit kostbaren Zeit beraubt; allein die Sache und die gute Absicht müssen und werden hoffentlich als Entschuldigung dienen.

Vor einigen Wochen las ich in der „Täglichen Rundschau“ von dem Preisausschreiben, das Sie in Gemeinschaft mit den Herren Professoren Conrad und Fraas über die Lehre der Descendenz-Theorie erlassen haben. Da die Mitteilung || in der Zeitung sehr knapp gehalten war, wandte ich mich an die Schriftleitung des Blattes um genauere Auskunft und erhielt den Rat, mich an Sie persönlich zu wenden. Das ist der Grund für die Rechtfertigung meines Briefes.

In den Mußestunden, die mir der Beruf als Arzt gewährt, – es sind nicht gar so viele – habe ich mich mit den Schriften Darwins und Ihren eigenen sowie mit mancherlei Geistesverwandten beschäftigt und in dieser Beschäftigung eine Quelle reinster Freude gefunden. Ich brauche nicht zu versichern, daß ich ein überzeugter Anhänger der Descendenz-Theorie bin; das Studium der Medizin und die weitere Beschäftigung mit den Naturwissenschaften führen || notwendig dazu, und notwendig baut sich darauf für den Denkenden eine eigene Anschauung über Weltall, Menschen und Völker auf. Deshalb schlug die von Ihnen gestellte Aufgabe eine Saite in meinem Inneren an, die schon öfter erklungen war, und der Wunsch regte sich, mich an der Bearbeitung dieser Aufgabe zu versuchen, wenn anders meine Kräfte und meine Zeit dazu ausreichen. Ein Hemmnis für die Ausführung meiner Absicht war bisher der Zweifel, ob meine natürlich nur allgemeine Kenntnis der innerpolitischen Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten genügen würde, dem von Ihnen zu Erwartenden einigermaßen gerecht zu werden. – Deshalb nahe ich mich Ihnen, hochverehrter Herr Geheimrat, mit der Bitte um eine || engere Umschreibung des Verlangten, damit ich nicht von Anfang an einen falschen Weg einschlage.

In der Hoffnung, daß Sie meiner Bitte die Erfüllung nicht versagen werden, und mit der Versicherung herzlichster Dankbarkeit für Ihre liebenswürdige Mühewaltung bin ich in tiefster Verehrung

Ihr sehr Ergebener

Dr. Ernst Engelmann

Arzt

Magdeburg, Hohe Mühlenstr. 1 I.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.09.1901
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 41721
ID
41721