Ernst Haeckel an Eduard Strasburger, Venedig, 4. April 1878

Venedig 4/4 78

Lieber Freund!

Schon längst hätte ich Deinen lieben Brief aus Triest beantwortet, wenn ich mich nicht bisher in einer ununterbrochenen Hetzjagd von allen möglichen menschenfreundlichen Besuchen, Vorträgen, Feierlichkeiten, Diners, Soupers, Dejeuners etc befunden hätte, so daß ich erst hier seit einigen Tagen zur Ruhe gekommen bin.

Du wirst inzwischen schon aus den Zeitungen erfahren haben, welche Reihe von derartigen strapaziösen Vergnügungen meine Freunde in Cöln unda Wien mir zu Ehren veranstaltet haben. ||

Ich hatte schon vor mehreren Jahren der Concordia in Wien, und ebenso dem Naturwissenschaftlichen Verein in Cöln einen Vortrag zugesagt, und da ich ohnehin vor meiner Reise nach dem Süden auf Gegenbaurs besonderen Wunsch noch nach Heidelberg mußte, so benutzte ich diese Gelegenheit, jene Zusagen zu erfüllen, wobei ich auch noch einige andere Städte besuchte.

Übrigens dürfte dies das letzte Mal sein, daß ich mich zu solchen auswärtigen Vorträgen habe beschwatzen lassen; man wird dabei halb todt gefragt, gegessen, getrunken etc etc – und die Folge ist natürlich ein colossaler Katzenjammer, den ich in den ersten ruhigen Tagen hier in Venedig gründlich genoß. ||

Von Wien reiste ich am 26. März direct über Triest hierher, hatte noch einen herrlichen Sonntag hier, dann aber 8 Tage Sturm, Regen u. Kälte. Ich benutzte diese Zeit theils zur Abfertigung von Correcturen u. dringlichsten Briefen, theils zum Genusse der herrlichen Kunstschätze, die hier so massenhaft aufgespeichert sind. Das Schönste bleibt freilich immer das herrliche Venedig selbst, mit seinem wunderbaren marinen Amphibien-Leben.

Ich wohne herrlich, im Hôtel Sandwirth, an der Riva dei Schiavone, habe mir gegenüber S. Giorgio maggiore, rechts den Canal grande mit Maria Salute und links den schönen Fernblick auf den Lido. Ich liege oft viertelstündlich im Fenster u. athme mit Wonne die köstliche Meersluft. Gestern war der erste wonnige Frühlingstag, mit wolkenlosem Himmel und warmer Sonne. ||

Nächsten Sonntag (6. April) gehe ich nach Triest zurück, bleibe dort bis zum 10 und werde dann wahrscheinlich noch 14 Tage theils in Pola, theils in Fiume zubringen, um womöglich noch einige Medusen zu fischen.

Mitte oder Ende der Osterwoche (spätestens am 27. April) werde ich in Jena zurück sein, und am 30. (gleich der Mehrzahl unserer verehrten Collegen) die Vorlesungen beginnen.

Ich freue mich übrigens jetzt schon auf die ländliche Ruhe in unserem kleinen Universitäts-Dorfe und auf unser Wiedersehen. Ich habe Dir Vielerlei zu erzählen. Mein Respect vor unseren akademischen Collegen ist auf dieser Reise nicht gestiegen.

An Deine liebe Frau u. Deine Verwandten freundliche Grüße. Wie immer,

Dein alter Ernst Haeckel.

a eingef.: Cöln und

Brief Metadaten

ID
41651
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Italien
Datierung
04.04.1878
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, Abt. Hss. u. Rara
Signatur
NL Strasburger, Eduard
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Strasburger, Eduard; Venedig; 04.04.1878; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_41651