Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Breitenbach, Jena, 18. Juli 1910

Jena 18.7.1910.

Lieber Herr Doktor!

Für Übersendung Ihrer populären Vorträge, sowie Ihrer freundlichen Besprechung meiner Anthropogenie in Nr. 7 Ihrer „Neuen Weltanschauung“, sage ich Ihnen meinen besten Dank! Es freut mich sehr zu hören, daß die neue Zeitschrift gute Mitarbeiter findet; ich wünsche aufrichtig besten Erfolg. Ich bedauere oft, daß ich nicht noch mitarbeiten kann. Die Arbeitskraft, Gedächtnis u.s.w. nimmt immer mehr ab. Zudem bin ich durch Familien-Sorgen (– seit vielen Monaten andauernde Krankheit von Frau u. Tochter u.s.w. –) so in Anspruch genommen, daß meine Zeit sehr zersplittert wird. ||

Vom Deutschen Monistenbund höre ich wenig Erfreuliches; es fehlt überall an energischen und arbeitslustigen jungen Kräften, welche mit Sachkenntnis, Umsicht und Mut für die gute Sache des Monismus eintreten. Neulich hatte ich Besuch von Dr. Juliusburger und vorher von H. Dieterich, die beide aus der Berliner Ortsgruppe ausgetreten sind. Sie klagten Beide sehr über deren Leitung und Leistung, auch die schwache Redaktion des „Monismus“. Das große Wort scheint Herr Dr. Vielhaber zu führen, der ein gewandter u. sehr selbstbewußter Redner sein soll, aber weder an Talent und Sachkenntnis, noch an Charakter und Umsicht den nötigen Anforderungen entspricht. ||

Ich bedaure immer aufs Neue, daß die Leitung des Monistenbundes und die Redaktion seiner Zeitschrift (– durch die Politik der Hamburger Ortsgruppe u.s.w.? –) in ungenügende Hände geriet; und daß Sie und Dr. Heinrich Schmidt ausgeschieden wurden. Vielleicht bietet sich bei der General-Versammlung in Dresden (im Septb.) Gelegenheit für Sie, wieder einzutreten. Dr. H. Schmidt arbeitet jetzt fast ausschließlich für Kröner; seine Gesundheit läßt zu wünschen übrig. Ob die Ihnen angebotene Professur an der Ackerbau-Hochschule in Süd-Brasilien auf die Dauer Sie befriedigen würde, bezweifle ich. Für Ihre Arbeitskraft u. Neigung würde vielleicht Übersiedlung nach Berlin oder Leipzig vorteilhafter sein. ||

Mein Amtsnachfolger, Prof. Plate, hat sich hier durch seine unglaublichen Ansprüche und sein brutales Tyrannen-Wesen allgemein verhaßt gemacht. Ich habe ihn seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Die Einrichtung des Phyletischen Museums hat er Prof. Meisenheimer (Nachfolger von H. E. Ziegler) und Dr. Schaxel übertragen.

Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen

Ihr alter

E. Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
18.07.1910
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Archiv des Helmholtz-Gymnasiums Bielefeld
ID
41093