Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Richard Semon, Jena, 7. Juli 1912

Jena 12.7.12.

Lieber Freund!

Aus Ihrem lieben Briefe ersehe ich mit Freuden, daß Sie demnächst wieder eine kräftige Lanze für die hochwichtige Transformative Vererbung einlegen und Ihre bedeutungsvollen Mneme-Studien weiterführen werden. Hierin kann nicht genug geschehen angesichts der beschränkten Einseitigkeit der modernen „Experimental-Embryologie“, mit übertriebener Wertschätzung des Mendelismus etc. Den Meisten modernen Spezialisten fehlt eine klare Übersicht des ganzen Entwicklungsgebietes, und besonders Einsicht in die Bedeutung der Palaeontologie und der Vergleichenden Anatomie! ||

Mein Sohn Walter, der seit gestern in‘s Gebirge übergesiedelt ist, wird Ihnen erzählt haben, daß ich stetig mit Ordnung meiner literarischen und malerischen Relicten, sowie Vorbereitungen für die Einrichtung des Phylet. Archivs beschäftigt bin. Walter hat mir dabei mit großem Fleiß und Verständnis viel geholfen.

– Das Phyletische Museum, das Plate am 21. Mai eröffnet hat, wird viel besucht und findet allgemein Beifall. –

Da mein Gehvermögen immer mehr abnimmt, habe ich mich jetzt entschließen müssen, eine Stunde Morgens im Rollstuhl ins Paradies zu fahren. Mit den Reisen ist’s leider vorbei. ||

Bei der Durchsicht meiner Aquarelle habe ich auch für Sie und für Bauer’s einige Erinnerungsblätter ausgesucht. Sie folgen gegen Ende des Jahres. –

Als ich neulich mit Walter wieder auf dem „Forst“ war (– natürlich nur per Wagen, auf einem schönen neuen Fahrweg, der vom Münchenroder Grund zum Bismarck-Turm hinaufführt, –) habe ich der vergangenen schönen Abende die ich dort mit Ihnen und unsren alten Freunden verlebte, sehnsuchtsvoll gedacht!

Mit herzlichen Grüssen von mir und meiner Frau an Sie und Ihre verehrte Gattin, (sowie auch an Bauer’s), treulichst Ihr alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.07.1912
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 40890
ID
40890