Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Georg Reimer, Jena, 24. Februar 1862

Jena 24.2.62.

Lieber Georg!

Da ich vermuthe, daß mit dem nächsten oder zweitnächsten Bogen der allgemeine Theil beendigt ist, so schicke ich Dir nun den speciellen, soweit das Manuscript druckfertig ist. Es sind dies 81 Gattungen, also ¾ des Ganzen, oder noch etwas mehr, da die noch übrigen 30 Gattungen, an denen ich jetzt arbeite, nicht ganz ¼ des speciellen Theiles betragen werden. Du bekommst vielleicht beim ersten Anblick des dickleibigen Manuscriptes einen kleinen Schreck; doch sieht das Volum schlimmer aus, als es wirklich ist. Ich glaube nicht, daß der ganze specielle Theil so dick (30 Bogen) wie der allgemeine wird, wenn die specielle Beschreibung der Gattungen und Arten, welche die Hauptmasse ausmacht, mit Corpusschrift gedruckt wirda. Soweit es sich ungefähr abschätzen läßt, glaube ich das 20-25 Bogen herauskommen werden. Unter den 81 Gattungen dieser ¾ sind 250 Arten beschrieben.||

Ich hätte den Umfang der Beschreibungen gern noch mehr reducirt und habe auch bei einer nochmaligen letzten Durchsicht noch mancherlei gestrichen. Mehr indessen, als dieses, konnte ich nicht streichen, ohne der Deutlichkeit der Beschreibung Eintrag zu thun. Gerade weil die Beschreibung des complicirten Baues dieser kleinen Organismen nicht durch eine makroskopirte Abschauung gestützt werden kann, sondern die gegebenen Figuren im Verein mit der Beschreibung allein ausreichen müssen, um auch den andern Naturforschern eine exacte Idee von diesen zierlichen Wunderwerken zu liefern, habe ich mir angelegen sein lassen, die specielle Beschreibung möglichst genau zu machen. Für die eigentlich so genannten „Zoologen“ ist diese systematische Beschreibung ohnehin die Hauptsache, und der allgemeine Theil, in dem der eigentliche wissenschaftliche Werth steckt, wird weniger von ihnen berücksichtigt.||

Die Erweiterung des ursprünglichen Planes, die dadurch herbeigeführt ist, daß ich auch das sämmtliche, vor mir angesammelte Material, namentlich also die Arbeiten von Müller u. Ehrenberg, mit aufgenommen und kritisch verwerthet habe, gereicht dem Buche jedenfalls nur zum bedeutenden Nutzen, indem dadurch die sämmtliche frühere Literatur, die meist in den Monatsberichten der Berliner Akademie (bis 1838 hinauf) zerstreut war, überflüssig wird, und man jetzt in meinem Werke eine ganz vollständige Monographie der Radiolarien, eine vollständige Sammlung aller bis jetzt gefundenen Thatsachen, beisammen findet. Doppelt angenehm wird dies sein, weil ich dabei die von Ehrenberg mit der größten Nachlässigkeit zusammengeworfenen Haufen gründlich gesäubert habe. Übrigens beträgt dieser ganze, wesentlich kritische Theil, nur etwa ¼–⅓ dies speciellen Abschnitts, während alles andere darin völlig neu ist.

Auf dem beiliegenden Quartblatt habe ich noch einige Abänderungen für die Übersicht der Familien bemerkt, welche den V Abschnitt schließt.||

Ich hatte in der letzten Hälfte der verflossenen Woche täglich mit Schmerzen auf das Erscheinen der ersehnten Exemplare gehofft und möchte Dich freundlichst bitten, die Absendung möglichst zu beschleunigen. Es liegt deßhalb so sehr viel an schneller Expedition derselben, weil mein Ziel nicht erreicht werden kann, ehe die 4 Landesväter oder vielmehr die 4 Culturminister der 4 Vaterländchen, in die ich jetzt meine patriotische Individualität theilen muß, sich das Radiolarien-Opus gründlich angesehen haben. Erst wenn diese 4 Ammen unserer alma mater (– ihr officieller Name ist nämlich Nutritores –) übereinstimmend den Werth der Arbeit anerkannt haben, ist an einen Success zu denken, und dann wirds wohl immer noch ein paar Wochen dauern.

In 3 Wochen ist dieses Semester zu Ende und dann werde ich die Correctur-Bogen wieder an der Quelle genießen können, wo sie mir immer besser bekommen (wohl wegen der gesunden Luft am Hafenplatz!). –

Einliegenden Brief bist Du wohl so gut in den ersten besten Briefkasten zu stecken.

Mit herzlichem Gruße

der Deinige E. Haeckel

a eingef.: wird

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.02.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK, Verlagsarchiv Walter de Gruyter
Signatur
M 7704 Dep. 42, R1, Haeckel, Ernst, Bl. 10r-11v
ID
40523