Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Georg Reimer, Jena, 29. November 1861

Jena 29.11.61.

Lieber Georg!

Du erhältst diesen Brief durch Herrn Wagenschieber, dem ich 2 fertige Tafeln geschickt habe (No 31 und 32), mit der Bitte, den Stich möglichst zu beschleunigen, damit wenigstens im Januar alle Tafeln vollständig fertig sind. Es sind nun nur noch 2 Tafeln zu zeichnen, welche ich bereits angefangen habe und in diesen Tagen ausführen werde. Die Vollendung der Tafeln wird also der baldigen Herausgabe des Werks keine Schwierigkeiten bereiten. Wenn nur auch der Druck a des Textes damit gleichen Schritt hielte! Deine erneuten Mahnungen und meine Resignation auf die zweite Correctur scheinen bei Deinen Herren Setzern ungefähr so, wie der Druck der öffentlichen Meinung bei der Loreley-Affaire auf Herrn v. Schleinitz gewirkt zu haben. Wenigstens habe ich den || letzten Bogen (10) erst am vorigen Montag d. 25st Nov. erhalten, den vorhergehenden Bogen (9) am Donnerstag den 14ten Nov. Während also in der letzten Woche wenigstens wöchentlich 1 Bogen kam, sind jetzt bereits 11 Tage Zwischenraum. Seit der Ablieferung des Manuskripts am 11ten September sind bis heute 77 Tage, also b grade 11 Wochen verflossen und in dieser Zeit sind 7 Bogen gedruckt worden. Also kommt gerade 1 Bogen auf je 10 Tage. Wie Du mir schreibst, schätzt der Setzer den Rest des dort befindlichen Manuscripts noch auf 18 Bogen; dazu kommen nun noch mindestens 15 Bogen, welche ich zu Weihnachten mitbringe. Wenn diese 33 Bogen nun in der bisherigen Weise fortgedruckt werden – in 10 Tagen 1 Bogen – so vorgehen darüber noch 11 Monate; wird wöchentlich nur 1 Bogen gedruckt, so kommt gleichfalls Juli oder August heran. Soll dagegen das Werk noch im Frühjahr erscheinen, was, glaube ich, nicht nur mir von der größten Bedeutung ist, sondern auch Dir nur angenehm sein kann, so müssen || wöchentlich mindestens 2-3 Bogen gedruckt werden, und das geht doch wohl ganz gut, wenn 2 Setzer zugleich arbeiten. Wenigstens erhielt mein Freund Bezold, der diesen Sommer bei Engelmann eine physiologische Arbeit drucken ließ – ohne daß der Druck besonders pressirte – jede Woche regelmäßig drei Bogen, und ebenso versichert mir Professor Gegenbaur, beim Druck seiner vergleichenden Anatomie (ebenfalls bei Engelmann) wöchentlich drei Bogen erhalten zu haben. Nur, wenn jede Woche wenigstens 2–2½ Bogen gedruckt werden, ist es möglich, daß das Werk noch vor Ostern oder wenigstens kurz nach Ostern erscheint! Warum mir so sehr daran liegt, daß das Buch nicht später erscheint – theils aus persönlichen, theils aus wissenschaftlichen Rücksichten – werde ich Dir in 3 Wochen mündlich mittheilen. Jedenfalls möchte ich dringendst bitten, lieber Georg, wenigstens von Weihnachten an, wo ich Dir den Rest des Manuscripts bringe, die ersehnte Steigerung der Druckkräfte eintreten zu lassen.||

Bei den fabelhaft „drängelnden“ Bestrebungen, die jetzt das ganze wählende und wühlende Berlin in die lebhafteste Bewegung versetzen, wirst Du vermuthlich an das „Drängeln“ so gewohnt sein, lieber Georg, daß Du mir auch mein Drängeln nicht verargst; ich weiß, daß Du es nicht thust, wenn Du die Gründe erfährst. Andererseits kann ich nicht umhin zu hoffen, daß bei Dir das „Drängeln“ besseren Erfolg hat, als bei unserem Janus-köpfigen Ministerium, welches wirklich allem drängelnden Fortschritt sich entschieden entgegenstemmen zu wollen scheint und bei dem wohl die „zurück“ schauende Gesichtsseite des Janus jetzt entschieden das Übergewicht, wenigstens das Oberwasser in den geheiligten Umgebungen von Gottes Gnaden hat. Wie das noch werden wird, soll mich wundern! Ich vermuthe, daß Du Deinen Entschluß für diese Legislaturperiode zu resigniren, noch nicht bereut hast!

Mit der nochmaligen Bitte, das Möglichste in unserem beiderseitigen Interesse zu thun, und mit dem herzlichsten Gruße

Dein E. Haeckel.

P. S. Ich schicke den Brief direct, weil Herr W. ihn am Ende ein paar Tage wieder liegen lassen könnte.

N.B. Ich besorge jede Correctur unmittelbar nach dem Empfange zurück.

a gestr.: damit; b gestr.: über

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
29.11.1861
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK, Verlagsarchiv Walter de Gruyter
Signatur
M 7704 Dep. 42, R1, Haeckel, Ernst; Bl. 4r-5v
ID
40520