Ernst Haeckel an Thomas Henry Huxley, Jena, 20. Januar 1875
Jena 20 Jan. 75
Mein lieber Huxley!
Dank der Übung in Entziffern von Hieroglyphen, die ich in Egypten erworben, habe ich auch Ihren letzten freundlichen Brief nach mehrwöchentlichem Studium glücklich entziffert, sogar ohne die Hülfe von Gegenbaur! Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre orientalischen guten Wünsche für 1875 und erwidere sie freundlichst für Sie selbst und für Ihre liebe Familie! Mögen Sie sich den guten Humor ungestört bewahren, trotz aller Mannings und St. Mivarts!! ||
Ihre freundlichen Mittheilungen über Amphioxus haben mich natürlich im allerhöchsten Maaße interessirt und ich bin äusserst gespannt auf die näheren Details. Hier in Jena ist Professor Wilhelm Müller (pathologische Anatomie) seit Jahren niit einer grossen Monographie des Amphioxus beschäftigt. Ich weiss aber nicht, wann er sie beenden wird, (vielleicht nie!). Er hält seine Entdeckungen absolut geheim und ich weiss nicht, ob er Etwas von Ihren Entdeckungen gefunden hat; ich glaube es jedoch nicht! ||
Für Ihre freundliche Besprechung der „Anthropogenie“ in der Academy danke ich Ihnen im Voraus! Bis jetzt ist das Buch sehr wenig in England, hingegen sehr stark in Frankreich und Rußland gekauft worden. Eine englische Übersetzung ist von einem Amerikaner (Mr. Van Rhynd) gleich nach dem Erscheinen begonnen und wird demnächst vollendet sein. Ich fürchte, dass das Buch in England wenig Freunde finden wird. Die ungünstige Besprechung von Pye-Smith in der „Nature“ hat mir gezeigt, dass Ihre Landsleute es mit den Schwarzröcken nicht verderben wollen; der „Culturkampf“ erscheint dort überflüssig! || Zu Ostern gedenke ich auf mehrere Wochen an das Mittelmeer zu gehen, um die Gastraea-Theorie weiter zu verfolgen, und hoffe für die Homologie der Keimblätter noch weitere Beweise zu finden.
– Bei uns in Deutschland fangen jetzt auch die transcendentalen Philosophen an, sich für die Descendenzlehre zu interessiren und Compromisse damit zu schliessen! Sogar einige Theologen sind inficirt!!
Mit den herzlichsten Grüssen an Sie und Ihre liebe Frau
Ihr treu ergebener
E. Haeckel