Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Jena, 21. März 1907

Jena 21.3.1907.

Lieber und hochverehrter Freund!

Philosoph und Philanthrop Carneri!

Für den freundlichen Glückwunsch zu meinem 50jährigen Doctor-Jubilaeum sage ich Ihnen und Ihren lieben Kindern meinen herzlichsten Dank! Inzwischen werden Sie den reizenden Artikel in Nr. 15281 der Wiener „Neuen Freien Presse“ vom 7. März gelesen haben, in welchem unsere liebe Freundin Eugenie delle Grazie Uns Beiden vereinta ein so liebenswürdiges Denkmal gesetzt hat; das hat mich ganz besonders gefreut! ||

Ich habe meinen Jubliaeums-Tag (7.3.) ganz still bei meinem Sohn (Landschaftsmaler) in München verlebt, wurde aber dort höchlich überrascht durch die feierlichen „Decrete“ unserer 4 „durchlauchtigsten Erhalter der Universität Jena“, durch die ichb als „Wirklicher Geheimer Rat mit dem Praedicat Excellenz“ in den Olymp der Halbgötter versetzt worden (in das „Paradies“ von Dante! Eine „wirkliche“ Commedia divina!!).

Ich wollte von München direct nach Italien, mußte aber auf 14 Tage nach Jena zurück, wegen des Baues des „Phyletischen Museums“! Nun hoffe ich endlich in 4–5 Tagen „Ultramontan“ zu werden und in Rom dem „Heiligen Vater“ als „Excellenz“ die Füße zu küssen! –

Mit herzlichsten Grüßen und besten Wünschen

Ihr treuer alter

Ernst Haeckel. ||

[gedrucktes Dankschreiben]

JENA, 12. März 1907.

Aus Anlass meines goldenen Doktor-Jubiläums sind mir am 7. März d. J. überaus zahlreiche Glückwünsche und Beweise freundlicher Teilnahme von nah und fern zugegangen. Da ich zu meinem Bedauern nicht allen einzelnen Gebern und Gönnern persönlich meinen herzlichen Dank abstatten kann, bitte ich dieselben, ihn in diesen Zeilen entgegenzunehmen.

Als ich vor 50 Jahren in Berlin zum Dr. med. promoviert wurde und bald darauf das Medizinische Staatsexamen ablegte, konnte niemand die erstaunlichen Fortschritte ahnen, welche die biologischen Wissenschaften in dem nächstfolgenden halben Jahrhundert machen sollten, vor allem durch den siegreichen Einfluss des natürlichen Entwicklungs-Gedankens. Dass es auch mir vergönnt war, an dessen wissenschaftlicher Begründung und allgemeiner Verbreitung mit meinen besten Kräften mich zu beteiligen, betrachte ich jetzt als den erfreulichsten Teil meiner langen und kampfreichen Lebensarbeit. Den zahlreichen Freunden und Schülern, welche mich dabei wirksam unterstützt haben, gebührt noch mein besonderer Dank.

Da in vielen mir jetzt zugegangenen Zuschriften auch des neuen, im Beginne dieses Jahres begründeten „Phyletischen Museums in Jena“ teilnehmend gedacht wird, füge ich hier noch die Mitteilung an, dass dessen Bau – in unmittelbarer Nähe des jetzigen Zoologischen Institutes – demnächst be-||ginnen wird und im Laufe dieses Jahres vollendet werden soll. Als eigenartiges „Museum für Entwickelungslehre“ soll dieses „Phylogenetische Institut“ – eine „Phyletische Schausammlung“ – den weitesten Bildungskreisen durch zweckmässige Schaustellung von Naturalien, Bildern und Präparaten die bedeutungsvollen Tatsachen der natürlichen Entwickelung – vor allem der Stammesgeschichte oder Phylogenie – vor Augen führen; diese geben nach meiner Ueberzeugung die sichersten Grundlagen für eine einheitliche, im besten Sinne monistische Weltanschauung. Die vernunftgemässe Religion, die daraus entspringt, beruht auf der harmonischen Verbindung von Kunst und Wissenschaft; ihr soll als Tempel unser Phyletisches Museum in Jena dienen.

ERNST HAECKEL.

Herrn Baron

von Basso und Frau Gemahlin

(Marburg a/D)

freundlichen Dank! und herzlichen Gruss!

Ernst Haeckelc

a Unterstreichung mittels geschweifter Klammer: Uns Beiden vereint; b eingef.: ich; c egh. eingef.: Herrn Baron … Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
21.03.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Slg. Wilhelm Börner
Signatur
H.I.N. 167262
ID
40200