Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Jena, 19. April 1893

Jena 19. April 1893

Lieber und hochverehrter Freund!

Ihren lieben heute hier erhaltnen Brief beeile ich mich sofort zu beantworten, und Ihnen zugleich meinen herzlichsten Dank für Ihre freundschaftliche, nur zu wohlwollende Besprechung meines „Monismus“ in Nr. 10, 274 der „Neuen Freien Presse“ zu sagen. Ich erhielt dieselbe bereits vor 8 Tagen in Rom (nicht in Palermo!). Ich bin glücklich und hochbefriedigt, wenn ich auch nur die Hälfte dessen, was Sie über meinen Altenburger Vortrag sagen und rühmen, als begründet in das positive Conto meiner philosophischen Leistungen eintragen darf, gegenüber der negativen Kritik unserer „Fachleute“. || Bis jetzt habe ich über den „Monismus“ zwar sehr zahlreiche (– u. zum Theil sehr enthusiastische) Zuschriften von Gesinnungsgenossen erhalten; aber der größte Theil der Presse schweigt beharrlich. Der „vulgaere“ Journalist weiß offenbar nicht recht, was er dazu sagen soll. Vielen Beifall scheint ein Artikel des Jesuiten Hermann Gruber S. J. zu finden, im „Katholik“ 1893, I. Heft 4, S. 350: „Ernst Haeckel als Stifter einer neuen Confession“. Das Facit ist, daß ich ein „naturwissenschaftlicher Hanswurst“ bin, als welchen mich „besonnenere Naturforscher längst betrachten.“ – ||

– Unsere 2monatliche Italien-Reise verlief in der I. Hälfte glänzend. Die wissenschaftliche Ausbeute in Messina (3 Wochen) war höchst fruchtbar und ergiebig. Die nachfolgende Tour durch Sicilien – welches ist seit 33 Jahren, März 1860, vor Garibaldi! nicht wiedergesehen hatte, hochinteressant. Meine Frau (deren südlichster Punkt bisher Spezzia war) war von Taormina, Syracus, Palermo sehr entzückt. Auf der Rückreise in Neapel ereilte uns leider der „Neid der Götter“, in Gestalt der epidemisch herrschenden Influenza. Wir mußten Beide mit Fieber 10 Tage im Hôtel zu Bette liegen! || Ich hatte außerdem noch vor 3 Wochen das Pech, auf einer glatten Marmortreppe auszugleiten und mir dabei ein Stückchen Hüftmuskel zu zerreissen, so daß ich seitdem nicht mehr als 20–30 Schritt gehen kann! Hier werde ich noch mehrere Wochen liegen müssen. Die directe Rückreise von Rom, (in 26 Stunden bis München, 10 Stunden bis Jena) verlief relativ leidlich. a Wir hatten wenigstens ein Coupé allein für uns, dank der Barmherzigkeit christlicher Schaffner, und ihrem Verständniß für „Backschisch“!

– Hoffentlich geht es auch Ihnen besser, liebster Freund! Es grüßt Sie (und Ihre lieben Kinder) von Herzen

Ihr treuer alter

E. Haeckel.

a gestr.: Wir

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
19.04.1893
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Slg. Wilhelm Börner
Signatur
H.I.N. 167228
ID
40165