Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Richard Semon, Jena, 15. Dezember 1913

Jena 15.XII.13.

Lieber Freund Semon!

Zu der glücklichen Vollendung Ihres großartigen Australischen Forschungs-Werkes, nach 20jähriger umfassendster und schwierigster Arbeit, sende ich Ihnen meine aufrichtigsten und herzlichsten Glückwünsche! Dieses glänzende „Monumentum aere perennius“ wird Ihren Namen in die Zoologische Standard-Literatur für alle Zeiten verewigen – ganz abgesehen von Ihren sonstigen wertvollen Arbeiten, Echinodermen etc.

Ein completes Exemplar Ihres Werkes habe ich an das Raffles Museum in Singapore (Dr. Hanitsch) geschickt. Das schöne Werk „Im australischen Busch“ etc., dessen Widmung mir zur besonderen Ehre und Freude gereicht, habe ich mehrfach verschenkt, auch kürzlich meinem l. Freunde Dr. Paul Rottenburg auf die Reise nach Indien mitgegeben. ||

Mit Ihrem Vorschlage, dem Verleger Dr. G. Fischer ein angemessenes Dankschreiben zu widmen, bin ich ganz einverstanden. Ich bitte Sie, das von Ihnen oder von Prof. Fürbringer zu verfassende Kollektivschreiben des Redaktions-Komités mir zur Unterschrift zu senden; ich werde dann gern Dr. G. Fischer es persönlich übergeben.

– Die herrlichen Paradiesvögel und die interessanten Beuteltiere, die Sie aus Australien und Neuguinea mitgebracht und unserer Sammlung geschenkt haben, sind jetzt großentheils im Phyletischen Museum aufgestellt. Leider hat aber mein Amtsnachfolger die besonderen Schränke, in denen ich Ihre ganze australische Sammlung aufgestellt hatte, aufgelöst. || Auch hat Prof. Plate von meinen eigenen (z. Tl. Sehr wertvollen) Sammlungsstücken die Original-Etiketten entfernt und durch neue (– ohne meinen Namen! –) ersetzt, worüber u. A. Breitenbach (in der „Neuen Weltanschauung“) Klage geführt hat. Über dem Schrank mit Ontogenese-Praeparaten steht nicht: „Biogenetisches Grundgesetz“, sondern „Biogen. Regel (entsprechend den entwicklungs-mechanischen Ansichten von Roux und Oscar Hertwig, wonach diese Beziehung zwischen Ontogenie und Phylogenie eine bedeutungslose „Erscheinung von zufälligen Vorkommen“ ist!! –). Das sind die lieben dankbaren Schüler“, die bald (zusammen mit Driesch, Herbst, Hamann etc.) eine neue „Schule des wahren „mechanischen Jenenser Vitalismus gründen werden! ||

Ich stehe jetzt, als alter invalider Einsiedler, der aus seiner Klosterzelle nicht mehr herauskommt, diesen und vielen anderen unerfreulichen Erscheinungen der modernsten Biologie mit heiterem Lächeln gegenüber und betrachte die wunderliche Gelehrten-Welt aus „kosmologischer Perspective“ mit der Brille der Resignation! –

Ich freue mich, daß mein Sohn Walter Sie und Bauers öfter sieht; er kann Ihnen von uns erzählen.

Hoffentlich geht es Ihnen und Ihrer lieben Frau jetzt gut. Mit besten Wünschen für das kommende Jahr 1914

treulichst Ihr alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.12.1913
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Bayerische Staatsbibliothek München, Abt. für Handschriften und Seltene Drucke
Signatur
Cgm 8032
ID
39879