Deubler, Konrad

Konrad Deubler an Ernst Haeckel, Goisern, 24. September 1877

Dorf Goisern den 24 September 1877.

Lieber guter Herr Professor!

Vergebens wartete ich von einer Woche auf die andere, das Sie gewiß kommen würden, aber immer vergebens! Endlich erhielt ich durch die Post Ihre Schrift „Corfu“, jezt erst wußte ich das Sie dieses Jahr nicht mehr kommen würden.

Auf künftige Jahr können Sie, auf der noch dieses Jahr auf den Monath Oktober eröfneten Salzkamergutsbahn leichter und biliger nach Goisern kommen. Für Ihre Reisebeschreibung meinen herzlichsten Dank.

Da Sie mir in Ihrem lezten Briefe von einer Reise zur Naturforscher Versamlung nach München schrieben, so entschloß ich mich ebenfalls dorthin zu Reisen.

Ich konte es mir unmöglich versagen, doch einmall in meinem Leben einen Konziliuma beyzuwohnen wo nicht Pfaffen und Bischöfe, || sondern von Freigeistern und Ungläubigen abgehalten wird. Die junge Kampflustige Garde der Aufklärung u. der Gewissensbefreiung, die Priester und Evangelisten der Almächtigen Natur, die Anbeter der Ahlmählig sich Entschleiernden Wahrheit, die Bekämpfer der durch Mystizismus u. Unwissenheit maskirten Lüge!

Ich war ganz wie berauscht vor Freude und Begierde auf diese Versamlung. Wie ich dann in der „Allgemeinen Zeitung“ das Programm gelesen, das in der ersten Sitzung Professor Ernst Haeckel der größte Deutsche Biologe über die heutige Entwicklungslehre einen Vortrag halten würde – dann hate ich volends den Kopf verlohren! kein Teufel hätte mich zurückhalten können.

Den 16tn Sontags früh um 4 Uhr ging ich zu fuße unter Sturm und Regen nach Ischl, von da auf den Stelwagen nach Salzburg, wo ich um 4 Uhr anlangte. Da der Himmel || sich aufheiterte machte ich noch einen genußreichen Spaziergang über den Mönchsberg. Montag den 17tn nach München, im „Bamberger Hoff“ logierte ich mich ein, nachdem ich mir eine Carte samt Zubehör für 12 Mark gelöst hate.

Jetzt stolzierte ich in gehobener Stimung ganz kek und voll Erwartung der Dinge die ich noch hören und sehen würde in meinen grünen Strümpfen, kurzer Lederhose, und mit einer merkwürdig komplizierten „Ordensdecoration“ auf meiner grauen Lodenjoppe auf der Brust durch die Strassen der Haubtstadt Baierns!

Abends um 8 Uhr steuerte ich ganz überselig dem Rathhause zu, um der Begrüßung beizuwohnen. Der Aufgang zum Portal mit Kandelabernb und brenneden Pechpfannen Imponierte ungeheuer – dann erst die Musik – die Statuen und Verzierungen – die großartige Beleuchtung – kurz gesagt ich war ganz wie Toll und Berauscht! ||

Von all den hunderten fremden höchst Inteligenten Gesichter sah ich nicht einen Bekanten.

Den andern Morgen war ich einer der ersten im grossen Odeons-Saale, dieser Tag war einer der wenigen Glanzpunkte meines Lebens –! Nur einer von solchen schönen unvergeßlichen, war der Tag meiner Freilassung vom Zuchthaus in Brünn den 26ten November 1856 in Brünn [!] – und das Wiedersehen meiner Alten Mutter und meines lieben Weibes nach 4jähriger Kerkerhaft!

Sie müssen mich in meiner auffalenden Steyerer Tracht wohl bemerkt haben? ich saß anfangs in der Mitte, spätter kam ich an die linke Seite neben einen Franziskaner in seiner braunen Kutte zu stehen. Nach beendigung Ihres Meisterhaften nur für die Muthigsten Denker und fortgeschrittenstenc Forscher berechneten Vortrages wolte ich zu Ihnen || hin drängen um Ihnen die Hand zu schütteln und Ihnen zu danken für Ihren Heldenmuth und Liebe zur Wahrheit! Aber ich hatte doch so vielle Besonnenheit und hielt mich zurück. Sie kamen mir vor wie Galliley, wie Luther auf dem Reichstag in Worms! Im Hinausgehen sahe ich Karl Grün bey mehreren Herren stehen – ich streifte dicht an Ihm an – er kante mich nicht – und ich – kante Ihn auch nicht.

Jetzt hatte ich Sie als hoher Priester der Wissenschaft als den größten Forscher und Denker unsers Jahrhunderts gesehen und das Neue Evangelium lehren gehört – jezt dachte ich mir hast Du genug, was noch alles während der Dauer bis zum 22 September zu hören und zu sehen sein würde, das könte ich einfacher Landmann und ungeübter Denker nicht mehr verdauen || und beschloß daher Mitwoch wieder in meine Heimath wieder abzureisen.

Nachmittag machte ich noch eine sehr Interessante d Bekanntschaft mit einen Schweizer Arnold Dodel, ich traf ihn mit seiner sehr hübschen jungen Frau in Bamberger Hoff. Er hatte mich eingeladen ich möchte Ihn in seiner Privatwohnung besuchen. Nach dem ich mich bey Ihm bis Abends prächtig unterhalten hate, ging [ich] ins Theater den Tanhäusser zu sehen.

Was mir am meisten aufgefallen ist, war die gänzliche Ignorirung der Einwohner von München an diesen so höchst wichtigen Naturforscher Congreß. Ein alter Stamgast in Bamberger Hoff erklärte mir auf meine Frage warum hier in München die Leute im Gegensatz von Wien die Bevölkerung so wenig Neugierig sind, und so wenig theilnahme wahrnehmen lassen? Er || e gab mir zur Antwort „Die Bürger hier wären zu dum, und zu Bigot und Unwissend um zu einer allgemeiner theilnahmef fähig zu sein, und zum größten theil ist gerade jezt die ganze Einwohnerschaft in größter Spanung und Mismuthig wegen den abschäulichen schlechten Bier, mann erwartte alle Tage einen Bier Crawall.“ Er wird sich wohl mit mir einen schlechten Witz erlaubt haben.

Und so reiste ich den anderen tage mit den Curierzuge über Rosenheim nach Wörgl auf der Giselabahn nach Kitzbühl, Zell am See, Pischofshofen, Radstadt und bis Steinnach, von dag ging ich zu Fuß über Aussee nach Goisern.

Jetzt sitze ich wieder in meinen Alpenhäuschen auf den Primesberg. Eines Reuet mich doch, das nähmlich, das ich Sie nicht gesprochen habe – Ich hatte eine ungeheure Furcht, Sie in einer solchen Umgebung als Freund zu begrüssen. Und Sie nicht || vor diesen stolzen Professoren zu Blamieren. Sie haben vielle unter diesen Herren zu den größten Freunden, aber auch den größten theilh zu Feinden –!

Schlüßlich möchte ich Sie noch um etwas bitten, 1tens Um Ihren Vortrag den Sie in München gehalten, und 2tens um die mir noch von meinen lezten Schreiben an Sie, mir noch schuldige Antwort. Meine Frage war nämlich, warum Karl Vogt, Moleschot u.s.w. keine Beiträge zu der für mich höchst Intressanten Monatsschrift lieffern? und ein du Prell der als Schlepträger des Eduard von Hartmann bekant ist, dafür zu diesen zeitgemässen Unternehmen zugelassen wird? Ich habe trotz den hohen Preis des Kosmos schon das 5 Heft.

Leben Sie wohl, und behalten Sie mich lieb, und Schreiben Sie bald Ihren teuren Freund der Sie so Hochachtet und Verehrth, und den es sein größter Stolz ist Sie als Freund verehren zu dürfen.

K.Deubler

a irrtüml.: Consillium; b irrtüml. Kandalabern; c irrtüml.: Vorgeschriedensten; d gestr.: Bekanten; e gestr.: erklärte; f eingef.: theilnahme; g eingef.: da; h eingef.: theil

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.09.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3952
ID
3952