Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Agnes Haeckel, Saint Malo, 20. September 1878

Saint Malo 20/9 78

Ihr theuren Lieben in Jena und Berlin!

Vor 2 Stunden bin ich (um 2 Uhr) wohlbehalten hier angelangt nachdem ich um 6 Uhr Morgens aus St. Nazaire abgefahren. Der erste Theil der Fahrt (durch die südlichen Bretagne) bot dasselbe langweilige und trostlose Bild, wie die Umgebung von St. Nazaire u. Croisic; baumlose Flächen, die zum Theil bebaut, zum Theil von ausgedehnten Salinen, meist quadratischen Gruben, eingenommen sind. Von Savenay an, besonders aber zwischen Redon und Rennes, wird die Gegend hübscher und noch mehr zwischen Rennes und St. Malo: freundliches Hügelland, das mich sehr an die hübscheren Theile von Westfalen erinnerte. Blühendes Heidekraut und Ginster säumen die sandigen Waldränder. Die Ufer der Villaine und Ille sind anmuthig. ||

Saint Malo liegt sehr hübsch auf steilen Granitfelsen, auf einer weit vorspringenden Landzunge, und ist von zahlreichen Inselchen umgeben, die malerische Forts tragen. Es ist der erste wirklich malerische Fleck, den ich auf dieser Reise sehe. Ich hoffe hier noch einige Skizzen zu machen und mich etwas zu erholen. Ich bedarf der Erholung sehr, da ich die 14 Tage in Croisic von Morgens 6 ‒ Abends 7 Uhr gearbeitet habe, kaum 1 Stunde Ruhe dazwischen.

Meine wissenschaftlichen (Medusen-) Zwecke habe ich aber auch ganz vollständig erreicht, so daß ich gestern sehr befriedigt abgereist bin. Der Aufenthalt in Croisic war sehr billig. Ich habe (Alles in Allem!) Täglich kaum 6 Francs (5 Mark) ausgegeben, freilich sehr frugal und einfach gelebt. In Paris kostete jeder Tag das Dreifache! ||

Von meiner alten Frau Mére Thobie, die mich mütterlichst versorgte, nahm ich rührenden Abschied; ich mußte ihr versprechen wiederzukommen (was sicher nie geschehen wird!) Die ganze Familie (2 Söhne und 3 Töchter) bekam ich nebst den Eltern in Photographie mit.

Gestern Mittag 1 Uhr fuhr ich von Croisic mit Omnibus ab, über Pouliguen und Guérande (wo ein großer Kirchthurm vom Winde umgestürzt war!) in 4 Stunden nach St. Nazaire. Hier hatte ich alle Hände voll zu thun, um meine 6 Kisten nach Jena zu spediren und meine Rechnungen (für Gläser, Blechkisten, Weingeist, Chemikalien ‒ über 200 Francs! ‒ zu bezahlen, sowie bei dem Apotheker Cabineau, der mich sehr aufmerksam und geschickt mit Allem versehen hatte, mich zu bedanken. ||

Ich denke nun 3 Tage hier zu bleiben, Dienstag (24.) ‒ wenn das Wetter gut ist! ‒ einen Abstecher nach der Insel Jersey (in 3 Stunden per Dampfer) zu machen und Donnerstag (26.) nach Grainville zurückzukehren, wo ich wohl ein paar Tage meine letzten Fischerei-Versuche machen werde.

In den letzten Tagen Sept. (oder 1. October) kehre ich nach Paris zurück, wo ich 1 Tag bleiben muß, um mit Herrn Reinwald buchh. Geschäfte zu verhandeln. Dann direct über Cöln nach Potsdam und dann wieder in mein liebes stilles Jena und in meine häusliche Ruhe und Bequemlichkeit, nach der ich mich diesmal täglich, und mehr als nach jeder anderen Reise gesehnt habe.

Dringende Briefe nach Granville (Departm. Manche)

Treulichst Euer E.

Hier bin ich im Hôtel Chateaubriand, wo Ch. geboren ist.a

Agnes Brief (vom 16.) so eben auf der Post erhalten.b

a Text weiter am Rand von S. 4: Hier …ist.; b Text weiter am Rand von S. 1: Agnes … erhalten.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
20.09.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39049
ID
39049