Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Agnes Haeckel, Le Croisic, 18. September 1878

Croisic 18/9 78

Liebste Herzens-Agnes!

Dein lieber letzter Brief hat mich durch die Nachrichten von Eurem Unwohlsein und von den wiederholten Schlag-Anfällen der guten Mama recht betrübt und besorgt gemacht! Hoffentlich ist jetzt Alles glücklich vorüber und meldet mir Dein nächster Brief – den ich sehnlichst erwartete, ich habe hier in 14 Tagen nur einen von Dir bekommen! – Bald Besseres! Der dumme Catarrh ist recht ärgerlich, ich hatte was Besseres von Ilmenau erwartet! Auch daß Walter die Schule so lange hat versäumen müssen, ist recht ärgerlich! Hoffentlich ist er jetzt desto fleißiger und eifriger! ||

Ich sehne mich sehr, sehr nach Hause und nach Ruhe! Den Abstecher nach St. Malo und Jersey, von dem ich noch einige interessante Bereicherungen meiner Medusen Kenntnisse hoffe, werde ich möglichst abkürzen und denke in 14 Tagen, in der ersten October-Woche, wieder bei Dir zu sein! Das ist nun für viele Jahre die letzte Reise an die Meeresküste! Ich habe die Fischerei gründlich satt, mit all den 1000 kleinen Plackereien die untrennbar damit verbunden sind. Auch habe ich jetzt Material für viele Jahre gesammelt, und da die Challenger Radiolarien mich außerdem auch noch mehrere Jahre beschäftigen werden, denke ich hiermit meine Seethier-Forschungen vorläufig abzuschließen. ||

Sechs Kisten voll Medusen habe ich heute von hier, als Eilgut, nach Jena spedirt. Pohle soll sie unausgepackt stehen lassen, bis ich komme, soll mir aber (durch Dich) die Ankunft der Kisten sofort melden. Nur wenn etwa ausa einer Kiste Weingeist ausgelaufen ist, soll er sie öffnen und die Gläser füllen.

– Ich befinde mich jetzt wieder leidlich wohl. Die Pariser Festlichkeiten und die maßlose Unruhe der ewigen Diners etc hatten – natürlich! – wie in Wien b im Märzc! – meinen armen Magen gründlich verdorben und nachher verwandelte sich der Magen-Catarrh in einen recht hässlichen Bronchial Catarrh mit gelindem Fieber! ||

Ich war vor 14 Tagen nahe daran, direct nach Hause zu reisen, statt nach Croisic. Dann dachte ich aber, die gute Seeluft und die Ruhe in dem stillen Fischer Dorfe würden mir am besten helfen. So ists auch gekommen! Magen und Lunge sind allmählich wieder ganz in Ordnung gekommen – und obwohl ich nur 2mal in der See gebadet habe, hat mir doch der Aufenthalt so gut gethan – auch die sorgliche Pflege meiner rührenden alten Wirthin! – daß ich morgen in ganz gutem Zustande meiner Rückreise antrete. Hoffentlich bringt mir die nächste Woche noch etwas Erholung! Grüßt die gute Mamma – der ich von Herzen baldigste Besserung wünsche und Clara herzlich. Dir und unsern lieben 3 Sprößlingen in Gedanken herzlichsten Kuss von

Deinem treuen Ernst

Die Beilage schicke an meine Mutter

Briefe bis 23 in St. Malo (France) poste restante.d

a eingef. mit Einfügungszeichen: aus; b gestr.:,; c korr. aus: April; d Text weiter am Rand von S. 4: Briefe … restante.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.09.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39047
ID
39047