Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Agnes Haeckel, Paris, 30. August 1878

Paris 30/8 78

Liebste Agnes!

Da meine Zeit in Paris äußerst knapp ist, schreibe ich diese Zeilen an Dich und an meine Mutter zugleich. Auch bitte ich Dich, Ihr beifolgende Drucksachen zu schicken, nachdem Du sie gelesen. Diese 14 Tage in Paris waren äußerst unruhig und geräuschvoll, aber sehr intressant und lehrreich. Die ersten Tage habe ich fast bloß im a Museum du Jardin des plantes, und in dessen Bibliothek, Medusen gearbeitet, die folgenden Tage größtentheils dem intressanten Congrés scientifique gewidmet. ||

Das Leben in Paris, sonst wegen der Welt Ausstellung sehr theuer, ist für mich insofern billig, als ich jeden Mittag und Abend eingeladen bin, oft sogar mehrere Einladungen gleichzeitig habe! Ein Wunder, daß mein armer Magen bisher Alles so leidlich ausgehalten hat und die Gastrula nicht erkrankt ist!

Montag (spätestens Dienstag) gehts nun direct ans Meer, an die Südküste der Bretagne (Nantes, St. Nazaire, Morbihan). Sobald ich mich festgesetzt habe schreibe ich. Einstweilen richtet Briefe etc an Herrn Reinwald, der stets weiß, wo ich zu finden bin, ein sehr liebenswürdiger Mann!

Herzlichste Grüße in Eile

Euer Ernst ||

Paris 21‒25 Aug 78

Die ersten fünf Tage in Paris habe ich größtentheils im zoologischen Museum und in der Bibliothek des Pflanzengartens zugebracht, wo ich für meine Medusen-Arbeit ziemlich viel interessantes Material gefunden habe. Sowohl der Director der Medusen-Sammlung (Prof. Perier) als auch der Bibliothekar (Mr. Jobin) sind überaus freundlich und liberal. Alles was ich wünsche, steht mir zur Disposition. So habe ich denn in diesen 5 Tagen tüchtig gearbeitet und hoffe in einigen Tagen fertig zu sein. Vom übrigenb Paris habe ich noch wenig gesehen, die große Weltausstellung noch gar nicht besucht; dagegen schon eine ganze Reihe von neuen wissensch. Bekanntschaften gemacht. ||

Der Zufall hat es gefügt (was ich vorher nicht wußte), daß gerade in diesen Tagen (vom 22‒30. August) die siebente Versammlung (Congrés) de l’Association francaise c pour l’avencement des sciences ‒ hier in Paris abgehalten wird. Die Mehrzahl aller Gelehrten Frankreichs ist dazu vereinigt. Ich wurde natürlich sofort eingeladen, Theil zu nehmen, und konnte nicht abschlagen; muß natürlich die Versammlungen (zum kleineren Theil!) besuchen und viele Reden anhören, leider auch eine Anzahl Festessen mitmachen. Zwei derselben werden (am Montag und Mittwoch) mir zu Ehren gegeben. Hoffentlich || werde ich auch diese Prüfungen noch glücklich überstehen, nachdem ich im Frühjahr Viel Schlimmeres überstanden habe. Die Herren Franzosen sind übrigens wirklich sehr liebenswürdig und lassen Nichts von nationaler Antipathie merken. Alle Pariser Zeitungen haben meine Ankunft in einem besonderen Artikel angezeigt (natürlich mit einem Kranze von duftenden Schmeicheleien, die mich leider sehr kalt lassen!). Sehr nett ist der Verleger der französ. Übersetzung meiner Bücher, Herrn Reinwald, und der Übersetzer derselben, Dr. Letourneau, sowie mein zweiter Übersetzer, Mons. Jules Soury. ||

Meine Wohnung ist ein sehr bescheidenes Studenten-Zimmer im Quartier latin (Rue Gay-Lussac 29). Das erste Zimmer (im 6. Stock, für 3 Frcs täglich) hatte so viel Wanzen, daß ich ein anderes im 4. Stock nahm, für 4 Frcs täglich (3 Mk 20 Pfg.) Mittag (oder vielmehr Abend) d esse ich mit alten und neuen Bekannten, an verschiedenen Orten. Im Ganzen behagt mir die Unruhe des Congresses, und der Verkehr mit den vielen Leuten, recht schlecht und ich will froh sein, wenn ich erst auf der Eisenbahn sitze und in das stille Asyl am Meeresstrand flüchte. Auch dorthin habe ich schon Einladungen, werde aber keine annehmen. ||

Paris Freitag 30/8 78

Der „Congrés scientifique“ ist heute glücklich zu Ende, und ich bin Herzens froh, daß ich die lange Reihe von Vorträgen, Vorstellungen, Festessen, etc etc glücklich überstanden habe. Besonders gut sind die beiden Banquets abgelaufen, die mir zu Ehren veranstaltet wurden: Das erste, am Montag 26/8 Abend, im Hôtel des quatre saisons (Letourneau, Reinwald, e Lanessan, Hovelacque und viele angesehene Naturforscher von Paris). Das zweite, am Mittwoch 28/8, im Grand hôtel (Soury, Alglave, Perier, Sirodot, Reinwald, außerdem besonders Philosophen und Ärzte). ||

Beidemale musste ich auf das halbe Dutzend Toaste Antworten die mir gebracht wurden, und eine französische Rede halten, was viel besser ging als ich gefürchtet hatte. Am Dienstag 27/8 wirklich zwei längere (französ.) Vorträge in der Zoolog. Section, über Medusen und Radiolarien, die mit großem Beifall aufgenommen wurden. Sonst bin ich mit allerhand Ehren wahrhaft überhäuft wordenf und meiner Triumphe recht müde! Ich sehne mich nach Ruhe und Einsamkeit am Meeresstrand. Mehr als hundert französischen g und fremden Naturforschern bin ich vorgestellt worden! ||

II

Wegen eines möglichen Zusammenstoßes mit Virchow in Paris hat Ihr Euch ganz unnütz Sorgenh i gemacht. Ich habe ihn gar nicht zu Gesicht bekommen, und die französischen Gelehrten haben sich um ihn wenig gekümmert, was ihm wohl großen Kummer bereitet haben wird; um so mehr, wenn er die zahlreichen (zum Theil sehr komischen) Zeitungs-Artikel über „le celébre Naturaliste et Philosophe de Jena“ gelesen hat. Ich werde Euch noch Einige dieser schmeichelhaften Artikel mitbringen, und Ihr werdet Euch über ihre Phrasen nicht wenig amüsiren. ||

P.S. So eben, 10 Uhr Morgens, habe ich das große Glück gehabt, durch Zufall hier in einem Apotheker j (Monsieur Corbineau) einen sehr intelligenten Verehrer meiner Schöpfungsgeschichte zu finden, der mir für meine Arbeiten hier sehr behülflich ist. Ich bin sehr froh darüber.

a gestr.: folgenden; b irrtüml.: übriges; c gestr.: f; d gestr.: b; e gestr.: A; f korr. aus: wurden; g gestr.: Nat; h eingef. mit Einfügungszeichen: Sorgen; i gestr.: Mühe; j gestr.: einem

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.08.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39043
ID
39043