Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottfried Haeckel, Kopenhagen, 2. September 1869

Kopenhagen 2. August 69.

Liebste Eltern!

Ihr werdet von Jena nächster Tage einen Brief erhalten, worin ich meine Ankunft in Kopenhagen und die hier sehr angenehm verlebten Tage geschildert habe. Die Überfahrt von Stettin hierher geschah sehr rasch, in 20 Stunden. Am Sonnabend war mir die Fahrt von a Stettin durch das Haff und an Heringsdorf vorbei, welches ich zuletzt vor 6 Jahren mit so ganz anderen Empfindungen und Hoffnungen verlassen hatte, äußerst wehmütig. Wir fuhren lange Zeit so nahe an der Küste der Insel Usedom hin, daß ich die einzelnen Häuser von Heringsdorf, die Kirche, die Buchen auf den Strandhöhen u.s.w. bei der klaren Abendbeleuchtung ganz deutlich unterscheiden konnte, ebenso den Weg längs des Strandes auf den langen Berg ‒ lauter Punkte, die reich waren an Erinnerungen an die heiterste und glücklichste Zeit meines Lebens. Wie anders mußte ich sie alle jetzt wieder sehen! ||

Von den schmerzlichsten Gefühlen bewegt, war ich froh, als endlich die Sonne zwischen der Insel Rügen und der Greifswalder Oye ins Meer sank, wunderschön als pupurrothe Kugel ins Meer tauchend und den mit leichten Wölkchen bedeckten Himmel herrlich bemalend. Ich blieb noch lange auf dem Verdeck liegen und begab mich erst gegen Mitternacht in meine Koye.

Um 8 Uhr Morgens kam ich hier in Kopenhagen an, nach 20stündiger Fahrt, und fand bei meinem alten Freund Krabbe die herzlichste Aufnahme. Über die hier sehr angenehm verlebten Tage berichtet Euch der Brief, den Ihr über Jena erhaltet. Morgen (Mittwoch) Mittag fahre ich nach b Christiania ab, wo ich Donnerstag Abend ankomme. Schreibt mir dorthin poste restante. Den herzlichsten Gruß an das glückliche Brautpaar, an das ich viel mit Freuden gedacht habe. Einliegenden Brief schickt an Virchow. ||

Kopenhagen 4. Aug. 69.

Ich habe diesen Brief und den nach Jena bestimmten vorgestern nicht abgeschickt, weil Besuch dazwischen kam und ich gestern noch vergeblich auf einen Brief aus Jena wartete. Dieser ist heute Morgen endlich eingetroffen; leider waren Agnes und Walter Beide unwohl gewesen; doch geht es wieder besser.

Ich habe die drei Tage hier sehr angenehm verlebt, viel Interessantesc gesehen und einige bedeutende Naturforscher (namentlich die Zoologen Steenstrup und Reinhardt) kennen gelernt. Im Ganzen hat Kopenhagen meine Erwartungen übertroffen. Lage und Umgebung sind sehr hübsch. ||

Näheres wird Euch das nach Jena geschickte Tagebuch melden. Heute Mittag fahre ich per Dampfboot nach Christiania, wo ich Donnerstag Abend eintreffen d werde. Ich werde sogleich nach meiner Ankunft dort schreiben. Da aber nur 2 Schiffe wöchentlich nach Norwegen von hier gehen, werdet Ihr vielleicht den Brief erst Anfang nächster Woche bekommen. Überhaupt wird der Brief-Verkehr nicht sehr regelmäßig werden.

Bitte richtet Euren nächsten Brief nach Christiania (poste restante), die späteren nach Bergen (p. Adr. Herrn Johann Thesen)

Einliegenden Brief an Virchow, liebe Mutter, bitte ich Dich mit dem Gedruckten in ein Couvert zu stecken, mit der Adresse, Herrn Professor Virchow Schellingstr. 10.

Herzlichsten Gruß

Euer treuer Ernst.e

a gestr.: H; b gestr.: D; c korr. aus: interessantes; d gestr.: könnte; e Text weiter am linken Seitenrand von S. 4: Herzlichsten … Ernst.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
02.08.1869
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39017
ID
39017