Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Agnes Haeckel, Berlin, 31. Juli 1869

Berlin 31. Juli 69.

Meine liebe kleine Frau!

Die zwei ersten Tage der Reise nach Norwegen sind glücklich vorüber, obschon sehr unruhig und ermüdend. Die Fahrt von Jena nach Apolda am Mittwoch Mittag war sehr heiß, aber glücklicherweise nicht staubig, da es eben tüchtig geregnet hatte. Der Zug von Apolda ging um 3 Uhr ab; um 6 Uhr waren wir in Halle, und um 11 in Berlin. In Halle auf dem Bahnhof traf ich unvermutheter Weise einen seit 20 Jahren nicht gesehenen Schulfreund, Namens Wieck, welcher jetzt Pastor in einem Dorfe bei Halle ist. Trotz der großen Veränderungen, welche wir Beide in den 20 Jahren durchgemacht hatten, erkannten wir uns doch gleich wieder. ||

Auf dem Anhaltischen Bahnhofe in Berlin bewillkommnete mich meine Mutter. Wilhelm Bleek, der vergleichende Linguist aus der Capstadt. a Die Eltern zu Hause trafen wir wohl und munter.

Gestern (Donnerstag) früh machte ich Besorgungen in der Stadt, besuchte Reimers, Tante Bertha und Wilhelm Bleek; sodann b verschaffte ich mir einen Creditbrief und Empfehlungen nach Bergen. Um 1½ Uhr ging ich auf den anhaltischen Bahnhof, um das neue Brautpaar zu empfangen. Die Braut meines Bruders, Clara Lisco, hat mirc ganz außerordentlich gefallen, und ich glaube, daß mein guter Bruder keine bessere Wahl hätte treffen können. ||

Sie besitzt eine sehr angenehme ruhige Heiterkeit und dabei ein so festes, reifes, von vieler Lebenserfahrung zeugendes Wesen, das mand sich da von für die 8 Kinder e und für meinen Bruder die besten Erfolge versprechen kann. Die 8 Kinderchen empfingen die Eltern alle voll Jubel und es war große Freude im Hause. Den Abend besuchtef ich noch Tante Weiß und machte mit Wilhelm Bleek einen Spaziergang im Thiergarten.

Heute Morgen war ich auf dem zoologischen Museum und machte noch verschiedene Besorgungen in der Stadt. Zu Mittag waren außer uns 12 Haeckels und Clara Lisco noch ihr Bruder und Onkel, Tante Bertha und Onkel Julius hier. Es ging recht heiter und lustig her. ||

Heute Abend besuchte mich noch Virchow, den ich in seiner Wohnung heute verfehlt hatte.

Morgen Früh um 6 Uhr geht es nun nach Kopenhagen. Meine Adresse dort ist:

Z. Adr. Herrn Dr. med. Krabbe

Lykkesholms‘ Allee No 8

Kopenhagen.

Hoffentlich meldet mir der Brief, den ich dort von Dir erwarte, mein liebstes, bestes Röschen, recht Gutes von Dir und von unsern süßen Kindchen.

Grüße und küsseg das liebe kleine Walter-Thierchen recht herzlich von mir, mein Rosinchen, und nimm selbst den herzlichsten Gruß und Kuß von

Deinem treuen Ernst

Selbstverständlich viele Grüße von Allen an Alle!

a gestr.: Ges; b gestr.: ich; c korr. aus: mich; d eingef. mit Einfügungszeichen: man; e gestr.: [xxx]; f korr. aus gesuchte; g korr. aus: güsse

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
31.07.1869
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39016
ID
39016