Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 3. Juni 1885

Jena 3 Juni 85.

Liebste Mutter!

Unsere Pfingstwoche war diesmal sehr unruhig, und ich wäre lieber bei Dir gewesen. Meine Schwägerin Marie Reimer aus Berlin mit Tochter (Greti) war 10 Tage bei uns (vom 22. -31 Mai). Da sie fast immer zu Haus waren, und die Kinder sehr ausgelassen, war es für Agnes etwas zu viel des Guten! Indessen es gefiel ihnen sehr bei uns!

– Ich hatte außerdem Besuch von 2 Collegen, unserem neuen Geologen (Prof. Steinmann aus Strassburg, ein ausgezeichneter junger Mann!) und einem sehr netten jungen Botaniker, Prof. Goebel aus Rostock, der aus Veranlassung meiner „Indischen Reisebriefe“ nächsten Winter nach Ceylon geht und sich von mir Instructionen holte. ||

II. Mit diesen beiden Collegen habe ich mehrere hübsche Excursionen gemacht. Murray den ich auch erwartete, schrieb ab; er kömmt erst End Juni.

– Nachdem die ersteren fort waren, machte ich in den 2 letzten Ferien-Tagen (Sonnabend und Sonntag) eine kleine Excursion nach Thüringen, auf der neuen Bahn Erfurt – Suhl, Kissingen. a Ich fuhr Sonnabend 9 Uhr ab und war um 12 Uhr schon in Oberhof, von wo ich in 1 Stunde nach der Sommerfrische Oberhof stieg. Hier traf ich meinen Collegen Abbe und außerdem einen sehr netten || Professor Stumpf aus Halle (früher in Würzburg und Prag) ein ausgezeichneter, zoologisch geschulter Psychologe, mit dem ich mich sehr gut unterhielt. Sonntag fuhren wir (mit Bahn in ½ Stunde!) von Oberhof nach Suhl, gingen dort spazieren, und Abends zurück (um 5 aus Suhl, um 9 in Jena!). Wir können also jetzt in einem Tage von hier auf die Schmücke fahren und zurück!

– Das Wetter war in der Pfingstwoche sehr wechselnd, Donnerstag und Freitag sehr heiß, Sonntag sehr kühl! ||

In Oberhof hatte ich großen Spaß mit einem ultra-frommen Junker und Stöckerianer aus Merseburg, einem „Baron von Hülsen“ Kgl. Feuer-Societäts-Director. Abends unterhielten wir uns sehr gut und munter über Natur, Wetter, Reisen etc. Als er aber am andren Morgen meinen Namen hörte, machte er 3 Kreuze und sagte: „Sie sind doch nicht mit dem berüchtigten Jenenser Professor verwandt?!“ – Großes Tableaux, zur allgemeinen Erheiterung aller Gäste! || Nachher hat er sich bei Prof. Stumpf beklagt, die Professoren verdürben ihm überall die Luftcur! Dieses Gesindel verderbe durch die Naturwissenschaft das ganze Volk! etc etc.

– Agnes läßt Dir herzlichst danken und schreibt nächstens. Über Walter, der die ganze Pfingstwoche hier war, freuten wir uns recht

– Der Besuch von Tante Bertha und Carl hat uns recht viel Freunde gemacht! Auch war es hübsch, daß sie das Luther-Spiel gut trafen

– Mit herzlichsten Grüßen

Dein treuer Ernst.

a gestr.: U

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
03.06.1885
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Potsdam
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38925
ID
38925