Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 20. November 1884
Jena 20. Nov 84.
Liebste Mutter!
Über Deinen lieben Brief, der mir Dich in der alten geistigen Frische zeigt, habe ich mich recht gefreut. Hoffentlich macht Dir auch der alte Körper nicht zu viel Beschwerden!
Von uns kann ich Dir nur Gutes melden. Die 3 ersten Semester-Wochen, vor denen ich mich mit Recht gefürchtet hatte, sind nun glücklich vorüber, und ich komme wieder in ruhigeres Fahrwasser. ||
Die Prorectorats-Geschäfte waren diesmal besonders groß, da der neue Curator und der neue Universitäts-Amtmann viel Schreiberei verursachten. Auch haben wir nahezu 600 Studenten, soviel, wie im Winter seit länger als 50 Jahren nicht hier waren. Besonders sind die Mediciner und Theologen zahlreich. Hertwig (– der sich ein Haus baut! –) hat über 100 Anatomen im Praeparir-Saal, wo Gegenbaur gewöhnlich 25 – 30 hatte, Schwalbe 35 – 40! || Heinrich hat also gleich sehr Viel zu thun. Die Art der Arbeit scheint ihm noch nicht recht zu behagen und mir scheint, daß ihm der klinische Beruf doch mehr zusagt, als der anatomische. Nun, keinesfalls hat er an diesem Jahr Etwas verloren! Es gefällt ihm übrigens hier gut. Sonntags ist er uns ein sehr angenehmer Gast.
– Von Walter haben wir fortdauernd gute Nachrichten. Die beiden Mädels sind auch munter. Agnes ist frischer als seit langer Zeit. ||
Vorigen Donnerstag haben wir glücklich unsre erste Gesellschaft absolvirt (mit dem neuen Curator und den neu eingetretenen Collegen). Nächsten Mittwoch folgt die zweite. Dann will ich noch 2 Herren-Gesellschaften geben um vor Weihnacht meine Prorectorats-Verpflichtungen zu absolviren.
– Für das schöne Apfelkraut herzlichen Dank; Rechnung haben wir nicht erhalten.
– Der bestellte Wein (aus Mülheim) ist schon eingetroffen und bezahlt.
– Mit herzlichsten Grüßen an Alle Lieben Dein treuer
Ernst.