Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Konstantinopel, 18. April 1873
Constantinopel
Freitag 18. April 73.
Liebste Mutter!
Gestern Abend spät bin ich glücklich mit dem Dampfer von Athen hier angekommen, und werde nun 14 Tage hier bleiben, um die prachtvolle Hauptstadt des Türkenreichs und ihre herrliche Umgebung kennen zu lernen. Ich habe hier ein Masse Empfehlungen und werde außerdem in den nächsten 5 Tagen die Stadt gemeinschaftlich mit der Stangen-schen Reise-Gesellschaft durchstreifen, welche ich unterwegs auf dem Dampfer von Smyrna getroffen habe, a und unter welcher sich auch Vetter Mollard und Herr und Frau Kaufmann Hoffbauer aus Potsdam befindet, || ferner ein alter Bürgermeister Schneider aus Sagan (dessen Kinder früher in Potsdam mit Bruder Carl gespielt haben) und Landschaftsmaler Körner aus Berlin. –
In Athen konnte ich leider (wegen des verwickelten und unbequemen Ganges der Dampfschiffe) nur 2 kurze Tage zubringen, welche aber höchst genußreich waren –
Die Reise ist wirklich prachtvoll und bis jetzt habe ich in jeder Beziehung sehr viel Glück gehabt. Auch bin ich stets gesund und munter geblieben. Ich denke am Donnerstag 1. Mai von hier abzufahren und über Varna, Rustschuk, Pesth, die Donau hinauf nach Wien zu gehen. ||
In Wien werde ich wegen der Weltausstellung 2 Tage (7. und 8. Mai) bleiben und bei Professor Grün (Floßgasse, 1; II. Stock) wohnen. Ist etwas Eiliges zu melden, so schreibe dorthin; sonst erwarte ich erst einen Brief von Dir in Jena am 11. Mai.
– Meine Naturalien-Sammlungen sind glänzend ausgefallen: 20 Kisten habe ich nach Jena gesendet (4 noch von Smyrna aus).
– An unsere Lieben herzlichste Grüße!
Dein treuer Ernst.
– Die Tagebuchblätter wirst Du, wie bisher, über Jena erhalten.
a gestr.: kann