Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 22. Dezember 1873
Jena 22 Dec 73
Meine liebste beste Mutter!
Seit Wochen hatte ich die Absicht, Dir eine Weihnachtsfreude durch Übersendung eines Aquarells von Jena zu machen, welches ich schon im September angefangen hatte. Ich bin aber leider nicht dazu gekommen, es zu vollenden! Ich bin so von Arbeiten und stets wachsender Correspondenz in Anspruch genommen, daß ich kaum mit dem Nothwendigsten fertig werde. ||
Da kam ich denn in diesen Tagen zu dem Entschluß Dir eine kleine Freude durch Übersendung einiger älterer Arbeiten zu bereiten, von denen ich weiß, daß Du sie bisweilen gerne ansiehst.
Ich schicke Dir daher beifolgend die 40a Aquarelle die ich im Sommer 1859 in Italien malte, ferner die kleine Sammlung von 200 Alpenpflanzen, an denen meine unvergeßliche Anna so große Freude hatte. || Sodann lege ich Dir die Nummer der „Gartenlaube“ mit meinen biographischen Skizzen von Professor Bock bei, von der mir der Verleger 2 Pracht-Exemplare gesandt hat.
Ferner meine beiden neuesten Arbeiten, von denen die „Gasträa-Theorie“ erst vor einigen Tagen fertig geworden ist. Die Infusorien-Arbeit hat sehr viel Beifall gefunden, wie Du aus beifolgenden Briefen sehen wirst. ||
Deine Kiste ist vor drei Tagen wohlbehalten angelangt, ebenso heute morgen das Paket von Tante Bertha. Beides werden wir erst zu Heilig Abend auspacken. Da wir sämmtlich sehr frisch und munter sind, werden wir hoffentlich eine recht vergnügte Weihnacht haben. Wie gern hätten wir Dich hier! Ich dachte erst auf ein paar Tage zu Neujahr Dich zu besuchen. Es ist aber bei der enormen Arbeitslast ganz unmöglich.
Herzlichste Grüße an Alle! Nächstens mehr!
Dein treuer Ernst.
a korr. aus: 42