Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 6. November 1873

Jena 6. Novbr 73

Liebste Mutter!

Ich wollte Dir schon seit 8 Tagen schreiben, hatte aber mit dem Semester-Anfang so sehr Viel zu thun, daß ich nicht dazu kam. Auf Deinen eben erhaltenen Brief will ich Dir aber sofort Nachricht geben. Im Ganzen geht es bei uns gut, allgemeinen Familien-Catarrh abgerechnet, den bei dem abscheulichen naßkalten Herbstwetter fast ganz Jena hat. Agnes ist seit 10 Tagen aufgestanden (4 Wochen nach der Entbindung) und hat ihren Geburtstag außer Bett zugebracht. Sie wird Dir in diesen Tagen selbst für Deinen || Brief und für die überschickten 10 Thaler danken. Unsere kleine Haidin (nämlich das „ungetaufte“ namenlose Fräulein) befindet sich seit 8 Tagen wieder recht wohl, hat indessen eine böse Woche durchgemacht. Trotzdem ihr nämlich die Flasche von Anfang an ausgezeichnet bekam, bestand danach Agnes und ihre Mutter darauf, daß eine Amme genommen wurde, trotz meiner Gegen Vorstellungen. Das Milch Vieh kam, eine grauenhafte und unverschämte Person. Am selben Tag noch, nachdem sie 3 oder 4 mal die Brust genommen, wurde das kleine Mädchen sehr krank: Diarrhoe, Erbrechen, Ausschlag etc. Dazu war die Amme so unverschämt, daß || Agnes selbst sie nach 24 Stunden fortschickte. Wir hatten eine Woche zu thun, ehe das kleine Ding wieder flott war. Jetzt geht aber Alles gut und die Flasche bekommt ihr vortrefflich. Die Wartefrau ist auch sehr sorgsam. Da sich Agnes sehr wegen der Geschichte schämt, bat sie mich, es Dir nicht mitzutheilen. Ich wollte es Dir aber doch erzählen, im Vertrauen. Hoffentlich geht nun Alles gut weiter. –

a Agnes selbst wird in den nächsten Tagen wieder ausgehen und befindet sich recht gut. Clärchen führt vorläufig noch die Wirthschaft. – Meine Vorlesungen haben am 27. October angefangen und sind recht gut besucht. Sonst lebe ich sehr still, mit viel Correspondenz und Arbeit beschäftigt. ||

Deine und Tante Berthas Wurst-Fleisch-Bestellung sollen in den nächsten Wochen besorgt werden. – Die ausgelegte No. 27,740 der Rhein-Priorität Obl., von der Du mir schreibst, ist dieselbe, die Du vor einem halben Jahre oder länger schon eingelöst hast. Ich hatte sie vergessen, im Verzeichniß zu streichen. Es wird die einzige vergessene sein. –

Daß Carl sich nicht hat versetzen und auch nicht in die Kammer wählen lassen, kann ich nur billigen. Er muß sich schonen. Wie geht es mit seinem Fuße? –

Die Gartenlauben-Nummer hatte ich schon für Dich bestellt, aber noch nicht erhalten. Es regnet einmal wieder Anerkennungen! Nächstens mehr. Heute nur noch herzlichsten Gruß.

Dein treuer Ernst.

N. B. schreibe überb die Amme nicht an Agnes!c

Einliegenden Brief von Gegenbaur erbitte ich zurück.d

a gestr.: Meine; b korr. aus: wegen; c Text weiter am linken Rand von S. 4: Schreibe … Agnes!; d Text am Ram linken Rand von S. 1: Einliegenden … zurück.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.11.1873
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38654
ID
38654