Jena 7 Oct. 71
Liebe theure Mutter!
Heute sind nun schon acht Tage, daß mir der Telegraph die Trauerbotschaft von dem bevorstehenden Hinscheiden unsres lieben guten Vaters brachte. Wie viel ich seitdem mich stündlich mit Dir, die durch diesen Verlust am meisten und nächsten betroffen ist, mich beschäftige, brauche ich Dir nicht erst zu sagen. Du weißt ja, a liebste Mutter, wie ich an Dir hänge, und wie ich gern Alles thun möchte, um Dir den Rest Deines Lebens noch möglichst zu verschönern und zu erheitern. ||
Wenn Du nur erst über den einsamen Winter hinweg wärest. Der Sommer, hoffe ich, soll dann viel erfreulicher für Dich werden und Dir mit Deinen Kindern und Enkeln in Potsdam und in Jena noch manche frohe und glückliche Stunde bringen. Es trifft sich recht schlimm, daß ich grade in diesem Winter – zum ersten Male seit ich in Jena bin, durch meine amtlichen Geschäfte als Decan so gebunden bin und so schwer von hier fort kann. ||
Als ich vorgestern Nachmittag hier ankam, fand ich schon einen ganzen Haufen Acten vor, mit denen ich mich gestern und heute geplagt habe. Das ist ein langweiliges trocknes Geschäft, das mir sehr wenig zusagt. Dabei empfinde ich erst recht, wie ich durch die genußreiche Arbeit meines Berufsfaches verwöhnt bin. Ich wäre nie ein ordentlicher Aktenmann geworden!
Agnes und Huschkes lassen Dich herzlich grüßen und Dir ihre aufrichtige Theilnahme ausdrücken. Auch Hildebrands, Seebecks, Frommanns haben mir dasselbe aufgetragen. Du hast wohl noch viel Briefe erhalten. ||
Heute (Sonnabend) Nachmittag habe ich als Decan der ersten Facultäts Sitzung präsidirt und habe dabei die Ernennung meines Freundes Strasburger zum ordentlichen Professor bewirkt.
Die Reise verlief glücklich, es war aber empfindlich kühl. Jetzt scheints wider bessers Wetter zu werden. Da gehst Du vielleicht bald mal auf ein paar Tage nach Potsdam. Hoffentlich bekommst Du ein gutes Mädchen.
Mit den herzlichsten Grüßen
Dein treuer
Ernst.
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