Haeckel, Ernst

Jena 21 Juli 71

Liebste Mutter!

Für Deinen lieben Brief danke ich Dir sehr. Ich hoffe auch, daß das Bad Agnes recht stärken und sie recht gekräftigt zurückkehren wird. Ich hoffe, unser häusliches Leben soll nächsten Winter in neuer Frische wieder sich regen. Inzwischen habe ich Agnes unsere kleine Wohnung so behaglich als möglich gemacht. Meine Sachen stehen alle wieder in der kleinen Eckstube an der Straße, die Bibliothek an der Schlafstubenwand, die beiden großen Schränke von Weiß an der Gartenwand, mein Schreibtisch (an welchem ich heute hier diesen ersten Brief schreibe) an der Straßenwand. Es ist etwas eng, aber sonst ganz freundlich und gemüthlich. ||

Das Paradies- Zimmer, mein bisheriges Wohnzimmer, ist für Agnes ganz neu eingerichtet, sehr hübsch tapeziert, und nimmt sich sehr stattlich aus. Ich denke, es soll ihr recht gefallen und sie darin recht tüchtig wirthschaften. Die Aussicht aus den beiden Paradies- Fenstern ist doch ganz reizend.

Nach dem letzten Briefe geht es Agnes wieder besser. Sie hatte eine starke Erkältung anfangs gehabt, und daher das Baden einige Tage aussetzen müssen. Auch die Mutter hatte einige Tage zu Bett gelegen.

Die Kinder sind beide recht munter; Walter wirklich allerliebst, schelmisch und unermüdlich wild. Er springt den ganzen Tag im Garten herum. ||

Auf unseren Besuch im Herbst bei Euch in Berlin freue ich mich sehr. Ich denke, Vater wird sich auch über den Kleinen munteren Jungen recht freuen. Lisbeth hat sich jetzt recht erholt.

Wir haben hier wieder abscheuliches November- Juli- Wetter, nachdem es einige Tage sehr schön und heiß war. Es ist doch ein ganz abscheulicher Sommer. Die Gegend sieht auch bei Sonnenschein ganz traurig aus, da alle Nußbäume und ein großer Theil der Pflaumenbäume, – auch viele andere Obstbäume – in dem übermäßig harten Winter total erfroren sind und nun mit ihren todten braunen Ästen recht traurig in das Grün hineinragen. Auch in den Gärten hat der Frost sehr viel Schaden gethan. ||

Bei dem Wetter habe ich auch erst sehr wenige Spaziergänge gemacht.

Doch war ich vorigen Sonntag einmal mit Gegenbaur im Leutralthal, ein hübscher tüchtiger Spaziermarsch von 4 Stunden. Vorher hatte ich Sonntag bei Gegenbaurs zu Mittag gegessen, vorigen Dienstag bei Straßburger.

Sie die Gegenbauer ist sehr schwerfällig und erwartet in einigen Wochen ihre Niederkunft. Hoffentlich geht es gut.

Daß Carl mit den Jungen einer Harzreise macht, freut mich.

Herzlichste Grüße an den

lieben Papa.

Dein Ernst.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
21.07.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38617
ID
38617