Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Bonn, 11. Oktober 1866

Bonn 11 Octob 66

Morgens

Liebe Eltern!

Mein Reiseplan steht nun fest und hat eine wesentliche Umgestaltung erfahren, mit welcher ihr, wie ich glaube, sehr zufrieden sein werdet. Ich gehe nach den Canarischen Inseln, wo ich theils auf Madeira, theils auf Teneriffa, den Winter mit Naturgenuß und Medusen- Untersuchungen verbringen werde.

Alle Nachrichten vom Mittelmeere, namentlich aber von Messina, lauten so schlecht, daß ich dort jetzt nirgends eine ruhige Arbeitsstätte gefunden haben würde. Ich bekam die ungünstigen Briefe über die jetzigen Zustände am Mittelmeer bereits in Jena, und faßte schon dort vor 8 Tagen den Plan, eventuell nach den Canaren zu gehen. Hier nun habe ich bei Dr. Krohn, und bei Frl. Wolff, welche mehrere Winter dort zugebracht || genauere Erkundigungen über die dortigen Verhältnisse eingezogen, welche in jeder Beziehung a so günstig lauteten, daß ich alsbald entschlossen war, meinen Mittelmeer- Plan definitiv aufzugeben, und statt dessen die Canaren zu wählen. Ich bleibe nun etwa 4 Tage hier, und reise Montag (15 Oct), spätestens Dienstag (16 Oct) Morgens von hier ab. Dienstag Abend fahre ich von Ostende nach London, bleibe in London 5 Tage (bis zum 21) und fahre Montag. 22 Oct von London nach Liverpool. Hier schiffe ich mich am Mittwoch 24. Oct. ein und fahre direct auf dem Dampfschiff nach Madeira, wo ich nach ungefähr 8-12 Tagen, also Anfang November ankommen werde. Wahrscheinlich (fast gewiß!) wird mich Dr. Greef von hier (welcher im vorigen Jahre mit mir auf Helgoland war) begleiten, was mir recht angenehm ist. ||

Ob Fol und Miklucho mich begleiten werden, ist mir sehr zweifelhaft; ich habe an sie geschrieben. Die Natur auf Madeira und Teneriffa ist herrlich, der Pflanzenwuchs fast tropisch, das Meer sehr reich und noch wenig untersucht. Ich hoffe auf reiche Ausbeute. Der Aufenthalt dort ist sehr angenehm, für Comfort hinlänglich gesorgt. Es sind jetzt beständig im Winter mehrere Hunderte Engländer und einige Dutzend Deutsche dort. Allerdings wird die Reise etwas theurer als nach Sicilien sein. Die Fahrt hin und zurück wird etwa 300 rl kosten, der Aufenthalt dort monatlich gegen 80 rl (für 6 Monate also 500 rl), so daß ich, 200 rl Extra- Ausgaben für Fischerei etc eingerechnet, wohl ungefähr 1000 Thaler brauchen werde (für die ganze Reise). Indessen mache ich sie doch ganz auf eigene Kosten, da meine || Ersparnisse, zusammen mit dem Honorar für das Buch, 1500 rl betragen werden. Ich kann also immerhin noch auf 300 rl Extra- Ausgaben für Sammlungen, Excursionen etc mich einlassen. Ich bin sehr beruhigt, seit ich gestern meinen Entschluß festgestellt habe und gehe voller Hoffnung und Zuversicht dem schönen Winter entgegen.

Wegen etwaiger Reise- Gefahren braucht Ihr euch nicht die geringste Sorge zu machen. Die ganze Reise ist höchst einfach und wirklich ohne alle Gefahr. Ob ich 3 Tage auf dem Mittelmeer oder 9 Tage auf dem atlantischen Meere schwimme, ist wirklich sehr gleichgültig. Alles, was ich hier über Madera und Teneriffa erfahren habe, lautet äußerst günstig, und verspricht mir in den meisten Beziehungen reichere Ausbeute, als Sicilien.

b 11 Oct.

Donnerstag Nachmittag

Liebe Eltern!

So eben erhalte ich einen Brief aus Messina, wonach ich jetzt unmöglich dorthin gehen kann, theils wegen unsinniger Quarantaine- Anstalten, theils wegen wirklicher Cholera, theils wegen ernstlichen politischen Unruhen. Zugleich erhalte ich einen Brief von Fol aus Genf, welcher mich nach den Canaren begleiten will. Endlich hat mir auch Dr. Greef so eben seinen Entschluß verkündigt, mich zu begleiten. Ich werde also nun zwei Begleiter haben, die mir recht angenehm sind Greef und Fol. So gestaltet sich Alles vortrefflich. In aller Eile bitte ich Dich, Liebe Mutter, nun noch um folgende Besorgungen: ||

1) Fahre zu Herrn Juliusc Kauffmann, neue Grünstraße (21?) Firma Kauffmann und Lampe, und frage ihn, ob er Verbindungen in Madeira oder Teneriffa hat, oder ob d ich auf den von ihm mir ausgestellten Creditbrief noch in Madeira, oder in London, oder in Liverpool (sprich: Liverpul) Geld erheben kann.

2) Auf jeden Fall schicke mir übermorgen (so daß ich es Sonntag oder Montag bekommen kann) fünfhundert Thaler in englischen Banknoten. Ich kann nur englisches Geld für die ganze Reise gebrauchen. Georg Reimer || wird Dir im Laufe dieses Monats das Honorar für mein Buch auszahlen. Vielleicht kann er es schon gleich thun.

3) Am besten wird es wohl sein, Du sprichst zunächst mit Georg Reimer und dann mit Julius Kauffmann, ehe Du bei Joachim die englischen Banknoten kaufst.

‒ Ich habe hier fünfhundert Thaler baar, welche ich Hier oder in Cöln in englische Banknoten umsetzen werde. Doch werde ich vorher Deine Antwort abwarten, ob ich durch Kauffmann Credit in London oder Madeira haben kann. ||

Einliegenden Brief schicke entweder durch die Post sogleich an Prof. Alexander Braun, oder bringe ihn selbst hin, wenn Du doch in die Stadt fährst.

Wenn ich Montag schon Antwort von Dir und von Braun habe, fahre ich schon Montag, sonst Dienstag (jedenfalls!) von Hier ab.

Ich habe mich in den paar Tagen sehr erholt und bin ganz leidlich wohl und munter. Auch der dumme Magen ist wieder in Ordnung. Den Montag verlebte ich sehr nett f in Gießen und Wetzlar. Dienstag fuhr ich durch das reizende Lahntal Hierher. Bei Bleeks ist Alles wohl. Alle grüßen. An Georg Reimer schreibe ich morgen. Näheres morgen oder übermorgen. Schreibt doch an Carl bald. Ich werde ihm nächste Tage noch einmal schreiben.

g An die Weiss besondere Grüße. Herzlichsten Gruß

In großer Eile Euer Ernst

Vielleicht kann ich auch sonst noch Empfehlungen nach Madeira bekommen.

a gestr.: mich; b späterer eigh. Vermerk Haeckels: Bonn 1866.; c eingef.: Julius; d gestr.: mein; e gestr.: Cr; f späterer eigh. Vermerk Haeckels: (8.10.); g weiter am Rand v. S. 8.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
11.10.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38595
ID
38595