Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 8. November 1864

I.

Jena 8. 11. 64.

Liebe Eltern!

Euer letzter Brief hat mich insofern sehr erfreut, als er mir meldet, daß Du, lieber Vater, wieder besser schläfst und auch Deine Spaziergänge regelmäßig machst. Das letztere ist eine Hauptsache. Setze sie nur ja recht regelmäßig alle Tage fort und laß Dich auch durch das eingetretene Winterwetter nicht darin irre machen. Hier haben wir seit ein paar Tagen recht ordentlichen Winter mit Schnee, Nachts 10-11° Kälte und heute morgen war fast die ganze Saale zugefroren. Das fängt jetzt hart an, nachdem noch vor 8 Tagen einige wahre Sommertage mit herrlichem Sonnenschein hier waren. In den letzten Octobertagen hatten wir noch +12-14° Wärme und konnten wieder aufhören zu heizen.

Von meinem Leben kann ich euch wenig erzählen. Es verläuft sehr still und einförmig, mit möglichst viel Arbeit. || Außer dem täglichen Gange in die Vorlesung bin ich fast immer zu Hause allein und schreibe an meinem Buche, mit dem es leidlich vorwärts geht. Icha bewohne bloß das große Eckzimmer nach dem Paradies hinaus, welches mit Hülfe der Doppelfenster und des Teppichs recht warm ist. Du wünschtest zu wissen, lieber Vater, wie ich mich darin eingerichtet habe. Der beifolgende Plan giebt Dir darüber Auskunft. Ich sitze gewöhnlich zur Arbeit an dem Platze, wo früher Annas Arbeitstischchen stand. Dahinter steht das Clavier, auf dem ich täglich in der Abenddämmerung ½ Stunde spiele.

In die Gegend bin ich noch wenig hinausgekommen, ein paar Spaziergänge mit Gegenbaur abgerechnet. Außer letzterem, und außer Hildebrandts und Schleichers sehe ich fast Niemand; bisweilen jedoch Seebeck, und auch wohl Pringsheim. Alle erkundigen sich immer sehr nach euch und lassen bestens grüßen. ||

II.

7. 8. 11.64

Gegenbaurs Kindchen geht es im Ganzen gut; doch schreit es ziemlich viel, was ihm immer schlaflose Nächte verursacht. Die alte Mutter pflegt ihn aber recht herzlich. In der letzten Woche haben sie wieder viel Kummer gehabt. Der Bruder von Gegenbaurs verstorbener Frau, ein Rechtsanwalt Streng in Würzburg, hat vor 8 Tagen seine junge Frau, mit der er erst 10 Monate verheirathet war, ebenfalls im ersten Wochenbett verloren. Das Kindchen ist auch todt. Er kommt dieser Tage zum Besuch her.

‒ Nun ist auch Bezold wieder von der Reise (nach Meran und Venedig) zurück. Er ist recht krank an einer Herzbeutel- Entzündung gewesen, sieht auch recht elend aus und hustet viel. Er darf diesen Winter gar keine Vorlesungen halten und wird vielleicht nach dem Süden gehen. So giebt es also überall Noth und Elend, wohin man nur in diesem schrecklichen Jahre blickt. ||

Letzte Woche habe ich auch wieder Examen gehabt, das diesmal recht schlecht ausgefallen ist. Von 5 Candidaten mußten wir 3 durchfallen lassen. Einer (der bereits Jura und Theologie studirt hatte) war über alle Maaßen dumm. Auf meine Frage, zu welcher Abtheilung der Karpfen gehöre, sagte er: „zu den Haifischen!“ – und auf die Frage: „Wodurch sichb die Spinnen von den anderen Gliederthieren unterscheiden“, sagte er: „Durch die stumpfsten Sinneswerkzeuge!“ Hierauf blieb mir denn weiter Nichts übrig, als ihn zu fragen, was ein Cameel sei? Er war aber so bornirt, daß er diese Anspielung gar nicht verstand. Er war wirklich sehr komisch.

Einliegenden Zettel bitte ich an Karl zu schicken, dem ihr auch wohl euren Brief mitschickt. Die Würzburger Affaire wird sich wohl noch etwas hinausziehen; jedenfalls werde ich mich sehr in Acht nehmen und nicht unbedingt zugreifen. Meine Freunde hier rathen mir sehr, nicht hinzugehen, sondern hier zu bleiben. Hoffentlich höre ich bald wieder Gutes von euch. Grüßt die Tanten, Frau Weiss und Prof. Barth herzlich von

Eurem Ernst.

a korr. aus: Du; b korr. aus: man;

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
08.11.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38581
ID
38581