Jena 5 Februar 71
Liebste Eltern!
Gestern, Sonnabend 4. Februar, war ein großer Ehrentag für Euren jüngsten Herrn Sohn, derselbe erhielt nämlich von der Jenenser Studentenschaft einen feierlichen Fackelzug, zum Danke dafür, daß er dera verlockenden Berufung nach Wien nicht gefolgt und in Jena geblieben ist. Schon um 3 Uhr Nachmittags kam eine feierliche Studenten- Deputation, welche in längerer Rede mir ihre Verehrung aussprach. Um 7 Uhr kam dann der große Fackelzug, der in der kleinen Neugasse kaum Platz hatte: Alles höchst feierlich, mit Fahnen, || Vorreitern, einem aus Apolda bestellten Musik- Chor etc.
In einem Gala- Wagen saß eine zweite Deputation von Studenten, welche zu mir heraufkam, und deren Wortführer, mein Schüler Bresgen (aus Ahrweiler) wieder eine Rede hielt. Ich tractirte sie mit Kuchen und Champagner. Dann hielt ich aus dem Fenster (N.B. unserer Schlafstube!, da Agnes in der anderen liegt) eine Rede in die Neugasse hinab, die mit einem begeisterten Hoch auf Jena meinerseits schloß, und von den Studenten des Fackelzuges mit einem hundertstimmigen Hoch auf „unsern Hochverehrten Lehrer“ erwiedert wurde. Dann zog der Zug noch zu Kuno Fischer, um demselben ebenfalls zu huldigen. ||
II.
Es thut mir zu leid, daß Du nicht hier warst, liebe Mutter. Deinem stolzen Mutterherzen würde doch diese Vergötterung Deines Sohnes sehr wohl gethan haben.
Ich bin nun froh, daß die Wiener Geschichte vorbei ist. Sie hat mir doch rechte Unruhe gemacht. Von Seiten des Ministeriums und des Großherzogs in Weimar habe ich noch ein sehr verbindliches Dankschreiben dafür erhalten daß ich hier bleibe. ||
Mit Agnes geht es leidlich, immer etwas besser, aber langsam. Ich hoffe, sie wird in 14 Tagen aufstehen können. Die Hülfe der Mutter Emma und Klärchens ist jetzt sehr viel Werth. Sie wohnen noch bei uns. Die Kinder sind beide munter. Ich denke, ich werde am Sonntag, denb 19ten Februar bei Euch sein.
Herzlichste Grüße
Euer Ernst
Für die 25 rℓ besten Dank.
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