Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 25. April 1863

Jena 25/4 63.

Liebe Eltern!

Eure lieben Briefe haben wir vorgestern richtig erhalten und ebenso durch Frl. Huschke gleichzeitig die 50 rl, die uns sehr willkommen waren, da wir bei dem Umzuge und der definitiven Einrichtung hier oben doch noch viel Kosten gehabt haben. Ich denke, die Abrechnung machen wir hier mündlich, liebe Mutter.

Wir erwarten auch euch nun am Ende der Pfingstwoche und freuen uns ganz außerordentlich auf euer Herkommen. Jedesmal, wenn wir die reizende Lage unserer Wohnung, den Blick aus den Fenstern auf die Berge, oder irgend einen schönen Aussichtspunkt bewundern, sagen wir dabei „Was werden sich die lieben Alten darüber freuen!“ Ich bin überzeugt daß die herrliche Natur euch sehr zusagen wird und ebenso unsre allerliebste Einrichtung. ||

Wenn ihr vorher nach Leipzig geht und Wiecks besucht, so könnt ihr euch auch erkundigen, ob diese vielleicht uns Beiden während der 3 Tage des großen Leipziger Turnfestes (vom 1-4 August) ein Streulager auf ihrem Boden bereiten können; denn sonst wird an Unterkommen nicht zu denken sein. Wir beabsichtigen nämlich Beide, schon am 1. August von hier abzureisen, a das Leipziger Turnfest, das gewiß höchst großartig werden wird, mitzumachen und dann nach Heringsdorf zu gehen, von dort am 14-17 September zur Naturforscher- Versammlung nach Stettinb, und dann Ende September und den ganzen Oktober bei euch in Berlin zu bleiben. Jedoch bleibe ich vielleicht auch schon im August etwas in Berlin um auf der Kgl. Bibliothek zu arbeiten. Ich möchte Dich deßhalb bitten, lieber Vater, Dich noch vorher beim Portier der Königl. || Bibliothek (Eingang vom Opernplatz) zu erkundigen, während welcher Zeit die Bibliothek im Herbste geschlossen bleibt. Ich muß mehrere Wochen dort arbeiten.

– Unsere schönen 6 Wochen Osterferien sind nun heute zu Ende. Wir haben das herrliche Wetter, welches fast den ganzen März und die erste Hälfte April durch dauerte, zu vielen schönen Excursionen benutzt, z. Thl. mit Prof. Schleicher und Frau zusammen, sehr netten Leuten, die eigentlich unsern intimsten Umgang bilden.

Er ist Linguist von europäischem Rufe, ausgezeichnet gescheut, gelehrt, ideenreich und liebenswürdig, dabei großer Botaniker, Natur- und Garten- Freund. Ebenso ist auch die sehr gescheute und nette Frau Annas intimste Freundin. Unsere fundamentalen Überzeugungen sind ganz dieselben. Vielleicht werden wir nun auch mit Gegenbaurs näheren Umgang bekommen, die heute von ihrer schönen Hochzeitreise zurückkommen. Sie waren 6 Wochen in Montreux am Genfer See. ||

Mein Hauptstudium bildet jetzt die Geologie und Paläontologie (Lehre von den versteinerten Tieren und Pflanzen der Vorwelt) über welch letztere ich auch in diesem Sommer ein Colleg lesen werde. Das Verhältniß der frühen Organismen- Welt zur jetzigen und der allmähliche Fortschritt in ihrer Entwicklung ist höchst interessant. – Tante Weiß wird vielleicht einen Theil der Zeit während ihr hier seid, mit uns verleben. Wann Tante Minchen kommen wird, wissen wir noch nicht. Karl, hoffe ich, wird uns in den Gerichtsferien besuchen.

Grüßt alle Lieben herzlich, liebe Eltern! Es geht uns über alle Maaßen gut und wünschen wir nur, daß das Leben immer so herrlich fort gehe.

Mit herzlichsten Grüßen

euer treuer Ernst.

Anna grüßt herzlich.

a gestr.: und; b korr. aus: Cön;

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
25.04.1863
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38432
ID
38432