Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Jena, 18. Juli 1862

Jena 18. Juli 62

Das normale Briefpapier ist zu Ende, liebster Schatz, und Du kannst daraus sehen, wie nothwendig es ist, daß der Briefverkehr zwischen uns beiden nun recht bald definitiv zu Ende geht, und einem anderen Verkehr Platz macht, der in mehr als einer Beziehung „mündlich“ ist und uns Beiden vermuthlich besser gefallen wird.

Nun benutze ich die letzten Rudera anderen Briefbogen, um Dir liebem herzigen Schelm sogleich auf den lieben, muntern Brief zu antworten, den ich so eben von Dir erhalten und frisch in den Händen und Herzen habe! Diesmal wird also hoffentlich deine Rechnung auf die gewohnte Sonntagsfreude nicht vergebens sein! Das Beste, was ich Dir diesmal schreiben kann, Du süßes, liebstes Mädchen, ist die wichtige Neuigkeit, daß wir morgen über 4 Wochen Polter-Abend haben und daß Du von nächstem Montag über 4 Wochen an nicht mehr Anna Sethe, sondern Frau Professor Haeckel heißen wirst! Wie gefällt Dir das? Was das für eine wirkliche „Extraordinaria“ geben muß, so ein herziger Schelm, wie es keinen zweiten giebt! Wie glückselig muß ihr zukünftiger Mann zu preisen sein! || Also nur noch einen einzigen Monat Junggeselle! Das ist so ziemlich der einzige Gedanke, der mich jetzt Tag und Nacht beschäftigt, und dessen reizende Consequenzen auszudenken ich gar nicht müde werden kann. Liebster Schatz, wie unermeßlich ist doch das Glück eines so vollkommen im gegenseitigen Besitze zufriedenen und seligen Paares, wie wir Beide zu sein uns rühmen dürfen! In der That, ein ganz neues, bessres, rechtes Leben muß für uns Beide von unsrer Vereinigung an sich erschließen! Wie reizend ist schon diese Vorfreude, die von Tag zu Tag wächst, und doch erst culminiren wird, wenn wir Beide erst wieder beisammen sind!

Übermorgen über 8 Tage werden wir also schon zum ersten Male aufgeboten! Sorge nur ja, liebster Schatz, daß bis dahin alle nöthigen Papiere von Dir bei Richter sind, damit ja keine Verzögerung eintritt. Ich muß nämlich vorher, nachdem Deine Papiere und die meinen von Richter hierher geschickt sind, noch schriftlich beim Senate (der Gesammheit der ordentlichen Professoren um die Erlaubniß (Conens!) zum Heirathen einkommen! Wie findest Du das? Gegenbaur hat mir schon versichert, er werde mit Bezold, Gerhard etc dagegen Protest einlegen!! ||

II.

2 große Sorgen sind mir seit gestern vom Herzen, nämlich Wohnung und Dienstmädchen! Mit Herrn Böhme habe ich gestern definitiv abgeschlossen und war wirklich aufs neue a entzückt über die reizende jetzt von Frau v. Wartenburg bewohnte Stube, welche die Residenz meiner kleinen Professorin werden wird! Es ist doch in Bezug auf Vereinigung von reizender Aussicht und zugleich schöner Ausstattung der Wände das schönste Zimmer von ganz Jena und der Gedanke daß hier grade die liebste Professorin, die es je gegeben hat, ihre ersten glückseligen Ehe-Jahre beginnen soll, macht mir außerordentlich Spaß. Die Reize der Wohnung sind wirklich so groß, daß die Unbequemlichkeit des Eingangs dagegen kaum ins Gewicht fällt! Die Schlafstube habe ich natürlich mit ganz besonderen Augen betrachtet!! Sie ist so geräumig, daß ein colossales italienisches Bett erster Größe bequem darin Platz hat, und außerdem immer noch Platz genug bleibt, um mit meinem süßen Frauchen beim Mondschein rings herum einen Walzer zu tanzen! Wie reizend muß sichs da schlafen!! ||

Auch Keller b, Holzstall und Waschküche habe ich besichtigt, alles sehr geräumig. Ich wollte nur, ich könnte Dich mal auf ein paar Stunden herzaubern, um Dich schon im Voraus auf den Einzug in diesen Palast lüstern zu machen! Wird denn die Frau Extraordinaria auch erlauben, daß der Herr Professor von Mittag an ihren Salon mit benutzt? und wird er auch wohl Abends sie ein Bischen(!) stören dürfen?? Antworte mir doch ja auf diese wichtigen Anfragen, da ich fast fürchte, daß meine gestrenge Gebieterin sehr sparsam mit dem „Zusammenleben“ umgehen wird! Aber Sonntag darf ich am Ende auch Vormittag ein Wenig bei ihr sein? Oder Nicht??

‒ Das Dienstmädchen habe ich nun auch gemiethet und zwar die erste, von der ich dir neulich schrieb. Sie ist mir sehr empfohlen worden und hat gute Zeugnisse. Kräftig genug ist sie auch, da sie längere Zeit einen sehr schweren und harten Dienst ganz gut ausgehalten hat. Besonders scheint sie sehr gutwillig zu sein.

Für mich ist sie zunächst in ethnographischer Hinsicht interessant, da sie schief geschlitzte Augen hat daß ich sie meinen Zuhörern ganz gut als Chinesin vordemonstriren könnte! [Zeichnung des Gesichts mit Augenpartie] ||

III.

Die Maaße der Wohnung von Thüren, Fenstern, Wänden etc werde ich Dir nächstens schicken. Ich denke aber, wir besorgen jedenfalls den Kauf der Möbel zusammen, da ich ja schon den 8, vielleicht sogar schon den 6. August nach Berlin kommen werde. Wegen der Möbel werde ich mit dem Fuhrmann in Weimar nächsten Sonntag sprechen. Jetzt aber sie schon herzuschicken, geht auf keinen Fall, schon aus dem Grunde, weil unser c Quartier, d. h. das untere, den August hindurch noch von Frau v. Wartenburg bewohnt wird. Oder wünschst Du, daß wir, damit ich hier die Möbel in Empfang nehme, die Hochzeit bis Ende August aufschieben (?). Ich denke, wir lassen die Möbel in der ersten oder zweiten Woche des Oktober her kommen, wo wir dann selbst von unserer schönen Alpenreise zurückkommen und uns gleich nett einrichten! Daß Du so fleißig zeichnest, freut mich sehr; fahre nur in den paar Wochen noch tüchtig fort, und nimm nach den Köpfen zunächst die schattirten Thiere, dann die kleinen Landschaften vor, zuletzt die Bäume; diese laß lieber, bis ich komme! || Beim Schattiren lege die Striche so schräg übereinander: [Zeichnung der Striche] Die Striche jeder Lage parallel, die nächsten spitzwinklig darüber.

Von Deiner Misdroyer Excursion schriebst Du ja gar nichts Nähers. Mich freuts sehr, daß Du jetzt noch bessers Wetter hast und Dein liebes Heringsdorf noch ordentlich genießen kannst. So bald werden wir doch nicht wieder hinkommen! Ich habe bisd jetzt noch wenig von diesem Sommer hier genossen, da es erst seit 3 Tagen wieder Sonnenschein giebt, der sich über 4 Wochen versteckt gehalten hatte.

Meine letzten Spaziergänge machte ich vor 14 Tagen, wo ich Material zu einer Blumensendung für ein gewisses reizendes Mädchen zusammensuchte. Samstag vor 14 Tagen sammelte ich Türkenbundlilien und Melampyren im Forst von Vollradisroda, bei leidlichem Wetter. Am nächsten Tage aber, Sonntag, wo ich die Blumensammlung im Rauthale vervollständigte, und noch Orchideen und Doldenblüthen dazu suchte, wurde ich von einem heftigen Gewitter überrascht, und dermaßen durchnäßt, daß alle Kleider zum Ausringen waren. Glückllicher weise hats den Blumen nicht geschadet! ||

IV.

Vorigen Samstag (12. Juli) wurde ich feierlichst in den Senat eingeführt, wo mir Kuno Fischer als Prorector eine Standrede hielt, über die ich (in Gegenwart sämmtlicher 30 ordentlicher Professoren) etwas schamhaft wurde. Sie fing etwa folgendermaßen an: „Herr Prof. die hohen Ernährer haben Sie neulich zum Prof. extraordinarius ernannt, und zwar außerordentlich kurze Zeit, 1 Jahr, nach Ihrer Habilitation. Diese welche Beförderung hat 1 doppelten Grund; erstens die schönen Erfolge Ihrer akademischen Lehrthätigkeit, zweitens aber und besonders die Production eines großen Werkes, dessen Erscheinen von ungewöhnlichem Erfolge mit Recht begleitet werden wird. Schon der Laie kann aus dessen Umfang und Anlage auf einen bedeutenden Werth urtheilen; nach dem Urtheile der Sachverständigen haben Sie sich damit bereits jetzt eine feste und bleibende Stellung auf der Höhe Ihrer Wissenschaft gesichert. Solchen Verdiensten mußte die Belohnung auf dem Fuß folgen, und ich freue mich von Herzen, daß dies sobald geschehen ist“ etc. etc. In dieser Weise ging es etwa ¼ Stunde fort, während welcher ich wie auf Kohlen stand. Dann wurde ich feierlichst in Gegenwart des Senats vereidigt. || Hierauf antwortete ich schließlich mit folgenden Dankes Worten: „Hoher Senat, Rector magnifice! Für das e ehrende Wohlwollen, welches Sie mir durch Wort und That bewiesen, und für die freundliche Aufnahme, die Sie mir in Ihrem Kreise haben zu Theil werden lassen, sage ich Ihnen hiermit meinen besten Dank. Es gereicht mir zur besonderen Freude, grade an dieser Universität meine akademische Laufbahn haben beginnen zu können, und sie jetzt hier fester begründet zu sehen. Mit allen mir zu Gebote stehenden Kräften werde ich bestrebt sein, das in mich gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen und die Pflichten des mir übertragenen Lehramts gewissenhaft auszufüllen.“

‒ Hierauf machte ich unserem Premier-Minister, v. Watzdorff, einem trefflichen, liberalen Manne, meinen Besuch, der grade zum Besuch hier war, und sich über ½ Stunde sehr freundlich mit mir unterhielt, auch nach meinem kleinen Strickchen erkundigte, das ich ja wohl nächstens hier einführen würde. Dann besuchte ich noch das junge Ehepaar Klopfleisch, daß sich sehr allerliebst sein Nestchen eingerichtet hat. ||

V.

Die junge Frau Klopfleisch (früher Helene Stark) ist recht nett und wird Dir gut gefallen. Ich hoffe, daß es ein recht passender näherer Umgang für Dich werden wird.

Schließlich benutzte ich noch die weiße Halsbinde, um Herrn von Wartenburg meine Aufwartung zu machen, von dem ich vor 8 Tagen beim Erbgroßherzog zur Tafel geladen worden war.

Letzterer ist ein ganz netter, einfacher Mensch von 18 Jahren, der in dem reizenden Schloß im Prinzessinnen-Garten wohnt. Wir unterhielten uns die 3 Stunden bei Tisch sehr zwanglos. Außer dem Erb-Großherzog und Hr. v. Wartenburg war noch der Geheime Justizrath Michelsen da (ein Prof. emeritus der jetzt fortzieht) und ein Pole (Baron Trepka) der unten bei Böhmes wohnt; ferner ein Pastor Gaberel aus Genf, der als französischer Lehrer beim Erbgroßherzog fungirt und lange Zeit in Corsica gewesen war. Wir unterhielten uns sehr gut italiänisch, ziemlich 2 Stunden. ||

Frau v. Wartenburg, die jetzt in Deinem zukünftigen Zimmer residirt, ist eine sehr verliebte junge Frau, die mir sehr von Heringsdorf vorschwärmte. Er ist auch ein recht netter Mann, Holsteiner.

Seebecks ziehen zum Winter in das Großherzogliche Schloß, wo meine Sammlungen sind. ‒ Für die reizende Wald-Myrthe (Vaccinium Oxycoccos) die Du mir mitgeschickt und für die netten Tange, den Ostseegruß, drücke ich diesem Blatte noch einen besonderen Kuß auf, und schicke meinem süßen Liebchen noch 2 andere zur Auswahl mit, einen ganz kurzen, fixen ‒ und einen recht langen, innigen ‒ Welchen hast Du lieber?

Zum August muß ich doch wohl einigen Kuß-Vorrath mitbringen!? Oder hast Dus am Ende schon gar wieder verlernt?

Eben kommt der 59ste Correcturbogen an. Grüße Agnes und Mutter schön und laß Dich innigst herzen und küssen von Deinem glückseligen Bräutigam

Erni. ||

N. B. Von allen Blumen muß, ehe sie in Wasser (mit oder ohne Sandunterlage) gesteckt werden, das unterste Stück (¼‒½ Zoll | |) abgeschnitten werden. f Bei denen, deren Stengel geknickt ist, muß derselbe oberhalb der Knickungsstelle abgeschnitten werden. Die meisten Blumen sind beig Vollradisroda im Walde gepflückt, Orchideen und Eisenhut im Rauthale, die weißen Berglilien auf dem Forst. Das einzige cultivirte Gewächsstück sind die Nußblätter, aus Böhmes Garten!

a gestr.: E; b gestr.: und; c gestr.: sie; d eingef.: bis, e gestr.: Wo; f gestr.: Di; g gestr.: aus; eingef.: bei

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.07.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38420
ID
38420