Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, [Berlin], 2. Oktober 1858

Samstag 2/10 Morgen

Gewiß bringt Dir eben die junge volle Morgensonne meinen Gruß, liebes Herz. Mir scheint sie so freundlich durchs Fenster, als wollte sie mir nach den traurigen Wolkentagen der letzten Zeit eine recht frohe und glückliche Zukunft prophezeien. Und das wird sie ja auch sein! Ach liebste Änni, komm nur recht bald; Du glaubst nicht, wie trostlos einsam und leer das ohne Dich ist. Die Kunstausstellung mit vielen schönen Landschaften wartet schon lange auf Dich; ich habe noch nicht allein mögen hingehen. Was ich ohne Dich sehe, ist doch nur halb genossen.

Daß Jacobis herziehen, hat mich für Euch sehr gefreut. Da wirst Du ja viel Gesellschaft zur Zerstreuung haben, wenn Dein Erni weg ist. Mutter wird gewiß sehr glücklich sein. Hat sie nicht Lust, nun früher herzukommen, um beim Einrichten mitzuhelfen? Das war mein erster Gedanke, als ichs hörte und ich freute mich sehr, meine Änni nun ein paar Tage früher wieder zu haben. Sie haben ein Quartier mit Garten in der Potsdamer Str. gemiethet. August war vorgestern hier, und sehr glücklich. ||

Sieh doch mal nach, lieber Schatz, ob ich nicht ein ungebundenes Heft in Quart dort gelassen habe, enthaltend einige 20 zootomische Kupfertafeln mit Text, von G. Carus. Es war in eine Spenersche Zeitung eingeschlagen. Wahrscheinlich liegt es unter den Noten. Mutter hat es nicht mitgebracht und es fehlt mir jetzt sehr. Vergiß es ja nicht mitzunehmen. –

Heute werde ich mich wieder tüchtig in Müllers Vorlesungen vertiefen, eine Arbeit, die mir sehr großen Genuß gewährt. Das ist das beste Mittel, die langen Stunden bis zu Deiner Ankunft zu verkürzen. Schreib nur genau, mit welchem Zuge ihr kommt, damit ich euch auf dem Bahnhof abholen kann. –

Da von Heinrich (der sehr munter ist und meist bei uns zu Mittag ißt) und Tante Bertha bis 8 Uhr keine Briefe gekommen sind, so schicke ich diesen jetzt ab. Grüße Mutter und Unzers. Und erfreue recht bald wieder durch einen so lieben Brief Deinen

Erni.

N.B. Nimmt Dich mit dem dicken Briefpapier in Acht! Der letzte Brief war doppelt. Wegen des sparsamen dichtgedrängten Schreibens sollst Du aber sehr gelobt werden (Italien!).

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
02.10.1858
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38355
ID
38355