Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Berlin, 12. August 1858

Berlin 12/8 58

Meine liebste Änni!

Da ein kleiner Brief immer besser ist, als keiner, so lege ich Karls Reisebericht und dem Geburtstagsgruß an Deine Mutter dies kleine Blättchen an Dich bei, welches Dich in Deinem lieben, so lange entbehrten Naturparadies aufs beste bewillkommnen und Dir den herzlichsten Gruß von Deinem Schatz bringen soll. Gewiß haben „Wald und See“ ihr festlichstes Feierkleid angezogen, um ihre liebe, kleine Gebieterin und Besitzerin (denn das ist ja in der Natur nur derjenige, der sie innig liebt und ihre Sprache versteht) im vollstem Glanze mit allem Pomp der grünen Bäume und der blauen Wellen zu erfreuen und ihr so den fröhlichsten Willkomm zu zurufen. Und der Himmel macht auch seit Deiner Abreise ein so heiteres, blaues Gesicht, daß sich || Alles vereint, um den Contrast, den die herrliche Häringsdorfer Natur mit dem schrecklichen Berlin (besonders so traurig und leer, wie es jetzt ist) bildet, Dich so angenehm als möglich empfinden zu lassen. Oder sollte Dir doch noch etwas fehlen? Wie?? Fast scheint es mir, als würde es Dir doch im September noch besser gefallen! Sonderbares Räthsel! Ob ichs löse?

− Den bösen Katarrh bist Du jetzt jedenfalls ganz los, da Du ihn hier zurückgelassen hast. Wenigstens wachte ich Dienstag früh mit einer so deutlichen Heiserkeit, Schnupfen und Husten auf, als Du nur irgend an einem der letzten Tage zeigtest und heute thut mir jedes Wort so weh, daß ich lieber ganz schweige. Übrigens hat das gar Nichts zu sagen und wird rasch vorüber sein, da ich mir nicht einfallen lasse, den Herrn Katarrh durch unnütze Quacksalberei zu stören; und wirkliche Freude macht mir diese sonst nicht sehr angenehme Erbschaft, wenn ich denke, daß Du sie dadurch los geworden bist. Wenn Du nun in Deiner schönen Natur dort recht frisch und munter bist, will ich hier in der öden Einsamkeit bei der sauren Arbeit gern etwas „verstimmt“ sein. || Schreibe mir nur recht bald und ausführlich, wie es Dir geht und wie euer Seeleben begonnen hat. Ich sehne mich schon so nach Nachricht von Dir, als ob Du wochenlang fortwärest und habe Dich die ganze Zeit über auf Schritt und Tritt begleitet. Gestern und vorgestern konnte ich das auch noch recht gut, da ich den ganzen Tag über bei Biermann II saß und den „Biermann I“ (den falschen) in Alles, was ich malte, hinein dachte. Heut ist nun auch das zu Ende und ich muß nun nolens, volens einmal energisch in die Arbeit hineingehen, deren Unangenehmes mir durch den Gedanken, daß es für Dich geschieht, süß wird. Was ich weiter noch in diesen Tagen angefangen, sollst Du in im nächsten Brief erfahren. Für heute, mein süßes Herz, nimm noch den herzlichsten Gruß und Kuß von Deinem treuen Schatz. Und schreib nur recht bald. Dann sollst Du auch, dem Princip zuwider, in a weniger, als 8 Tagen, noch Antwort haben. Prof. Max Schultze, der mich gestern besuchte, erwartet mich. Ich muß eilig fort, sei recht vergnügt u. munter.

Ade!

a gestr.: dieser Woche

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.08.1858
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38338
ID
38338