Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Freienwalde, 7. September 1860

Freienwalde 7.9.60.

So eben geht meine bestimmte Hoffnung in Erfüllung, lieber, süßer Schatz, und mit der Volkszeitung erscheint Dein ersehnter Brief, für den ich Deinem lieben Bilde, das mir über meinem Arbeitstisch zulächelt, einen innigen Kuß aufdrücke. Wie sehr gern ich Deinen hübschen Plan in Betreff des 14ten erfüllen möchte, liebste Änni, brauche ich Dir nicht erst zu sagen. Ist mir doch auch immerfort in dieser ganzen Woche der Gedanke durch den Kopf gegangen, wie es sich einrichten ließe, daß ich doch noch zu Dir käme.

Viele Pläne habe ich entworfen und wieder verworfen von denen aber keiner recht passen will. Es würde bei mir, glaube ich, fast noch schwerer als Dir, am 14 nicht bei Dir zu sein. Und doch scheint sichs nicht machen zu lassen. Am 15 ist nämlich schon Vorversammlung der Naturforscher in Königsberg; ich habe nun nach Königsberg geschrieben und gebeten, mir das Programm und die ganze Disposition zu schreiben, um zu wissen, ob ich schon am 15 oder erst am 16 oder gar erst am 17 dort sein muß. Nach der Antwort, die ich in den nächsten Tagen erhalten muß, wird es sich richten, ob ich noch vorher zu Dir komme und am 14 bei Dir sein kann, sollte ich auch schon Freitag Mittag nach Freienwalde zurückmüssen. Ich habe immer noch die geheime || Hoffnung, daß es sich wird machen lassen. Dann würde ich Mittwoch 12. hier früh abfahren, 13 bei Dir sein und 14 nach Stettin zurückfahren, Sonnabend früh 10½ Uhr von da nach Königsberg fahren, wo ich Sonntag früh ankämea. Dieser Personenzug ist der einzig mögliche, da der Schnellzug zu theuer ist (das Doppelte!). Ich fürchte aber, daß der schöne Plan wieder zu Wasser wird und ich erst nach dem 20 zu Dir kommen kann. Hinsichtlich Petersens fände ich es also jedenfalls netter, wenn sie erst später (zwischen 20 und 30) kämen, wo wir mit Ruhe zusammen sein könnten. Wie ungemein ich mich auf diese glückselige Zeit freue, namentlich auf den Mondschein in den letzten Septembertagen, und auf die Rückreise mit Dir zusammen, kannst Du nach Deinem eigenen Herzensjubel bei diesen Gedanken ermessen.

Laß nur Wald u. See ihr Feierkleid anziehen, damit sie für uns glückliche Leute im besten Schmuck prangen. Auch auf die Gemäldeausstellung im October, wo ich Dich hoffentlich nach allen Lieblingspunkten Italiens führen kann, freue ich mich sehr. Lieber Schatz, wie liebe ich Dich! Und wie bebt jeder Nerve bei dem beglückenden Gedanken, Dich liebstes, bestes Wesen bald wieder in meine sehnenden Arme schließen zu können. ||

Diese letzte Woche ist hier bei der Arbeit mir ruhig und still, wie die frühren b verflossen. Da das Zimmer unten gar zu finster und ungemüthlich, kalt und feucht war, so bin ich oben in Karls freundlichem, lichtem Arbeitszimmer geblieben, welches ich schon die ganze Zeit vorher während seiner Abwesenheit benutzt hatte. Zwar jammert er gelinde über den Raum, der mein kleines Laboratorium in Beschlag nimmt; aber im Grunde glaube ich, ist er ordentlich stolz darauf, ein Stück Radiolarienwerk in seinem Aktenzimmer entstehen zu sehen. Ich habe ihm auch versprochen, in der Vorrede seine Geduld und Bruderliebe zu rühmen! Den lieben Wald mag ich gar nicht ohne Dich ansehen, da die grünen Bäume die Sehnsucht zu mächtig erregen. Dafür bin ich täglich von 12 – 1 vor Tisch mit den beiden Jungens baden gegangen, welche ich springen gelehrt habe und mit denen ich (ein Junge auf dem Rücken, wie Arion auf dem Delphin, reitend) immer eine Strecke hinausgeschwommen bin. Die Bäder sind jetzt sehr angenehm, kühl u. erfrischend und ich denk dabei immer, wie gut das meinem lieben Thierchen an der Ostsee thun wird, welche auch so gern und munter in dem kalten Wasser umherplätschert.

Bad nur recht fleißig, liebster Schatz! Das wird Dich recht stärken; nimm Dich aber vor Erkältung sehr in Acht; und lauf nach dem Bade immer tüchtig spaziren. Wie sehr freut michs, daß die bösen Furunkel vorbei sind, und Du Dich ungestört Heringsdorfs erfreuen kannst. ||

Bei Tisch und im Schummerstündchen spiele ich immer mit den Kindern, namentlich mit dem kleinen Heinrich, der immer laut aufjaucht, wenn ich ihn hoch in die Luft werfe und wieder auffange, und mit meinem besondern Liebling Herrmann, der sich so ungemein sanft, sinnig und zuthunlich anschmiegt, daß man das liebe Gesicht (welches ja einem Dir auch nicht unlieben so ähnlich sein soll, daß alle Besucher sagen: „Nein, das ist aber ganz der Onkel Ernst!“) immer streicheln u. küssen möchte. Kehren wir vom Baden zurück, so reitet er immer auf meinen Schultern heim. – Zu der Hamburger Professur, welche allerdings sehr günstige Chancen bietet, habe ich mich nun auf dringendes Verlangen von Carl und von Aegidi doch noch gemeldet, obwohl ich überzeugt bin, daß keine Spur von Aussicht von Erfolg vorhanden ist. Ich weiß auch nicht einmal, ob ich mich über die Stelle sehr freuen würde, da ich nicht glaube, daß ich dazu ausreiche. Der eine, eine Gedanke, Dich dann bald heimführen zu können (jetzt mein erstes und innigstes Streben!) drängt freilich alle andern Gedanken in den Hintergrund. Aber in die Jenenser Pläne habe ich mich jetzt schon so hineingelebt, daß ich dies allem andern vorziehen würde.

Liebster Schatz! Wie weit werden wir übers Jahr sein? Wie sehne ich mich nach einem endlichen ruhigen Leben, welches mir ja einzig und allein Dein Besitz bringen kann! Sobald ich aus Königsberg Nachricht bekomme, werde ich schreiben ob ich zum 14 kommen kann oder nicht. Grüß mir Mutter und Hermine schön und laß Dich innigst küssen von Deinem treuen Schatz.

c Ich lege Dir noch einen lieben Brief von Gude bei, den mir Karl aus Berlin mitbrachte.

a korr. aus: ankomme; b gest.: V; c weiter am Rand v. S. 4: Ich lege Dir…aus Berlin mitbrachte.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
07.09.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38323
ID
38323