Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Freienwalde, 29. August 1860

Freienwalde 29.8.60.

Mittwoch Morgen.

So eben erhalte ich Deinen lieben Brief von vorgestern, mein liebes, liebes Herz, welcher mich leider durch die Nachricht, daß Dir die bösen Blutgeschwüre so sehr viel Schmerzen verursacht haben sehr betrübt hat. Wie dauerst Du mich, mein armes, kleines Ding, und wie betrübt a bin ich, daß ich nicht bei Dir sein und Deinen Schmerzen etwas lindern kann! Nun ich hoffe, daß nun das Schlimmste vorüber ist, und da endlich das böse große Geschwür offen, Du nun rasch der völligen Besserung entgegen gehst. Doppelt leid ist es mir, weil Du dadurch am Baden verhindert wirst, dessen Wirkung Dir gewiß sehr wohl gethan haben würde. Könnte ich Dir nur helfen, oder Dich wenigstens etwas pflegen, um Dir die Schmerzen erträglicher zu machen! Vielleicht siehst Du mich nun doch noch eher wieder, als wir dachten, liebster Schatz. Ich bin nämlich zweifelhaft, ob ich nicht lieber vor, als nach der Naturforscherversammlung nach Heringsdorf kommen soll. b Ich hatte letztere eigentlich aufgegeben und mir den netten Plan gemacht, Dich am 7 Sept. etwa zu überraschen und bis zum 19 dort zu bleiben, um am 20 wieder hier zu sein. || Allein heute erhalte ich wieder 2 Briefe, in denen mir (von Braun u. Zenker) sehr zugeredet wird, die treffliche Gelegenheit doch nicht zu versäumen, so daß ich nun doch wohl hingehen werde. Komme ich nun vorher zu Dir, so werde ich nächsten Dienstag (4.9.) abreisen, da Karl, welcher mir mein Gepäck mit den nöthigen Sachen aus Berlin mitbringen soll, erst am Montag (3.) zurückkehrt. Ich könnte dann bis incl. 14. bei Dir bleiben u. am 15 nach Königsberg fahren. Dort würde ich etwa 4 – 5 Tage bleiben u. dann direct nach Freienwalde zurückkehren, wo die Eltern die letzte Hälfte September zubringen werden. Es hätte dies namentlich den Vortheil, daß ich den 14. bei Dir wäre, welche Freude ich Dir gar zu gern machen würde. Auch kann ich nicht leugnen daß ich schon wieder große Sehnsucht habe, bald bei Dir zu sein. Vielleicht kann ich Dir doch etwas Deine Schmerzen lindern u. Dir die Zeit vertreiben, wenn wir allerdings auch nicht c den Wald u. die See ungestört zusammen genießen können. Komme ich erst nach Königsberg, so würde ich allerdings wohl mit mehr Ruhe u. Genuß bei Dir sein. || Aber länger als höchstens 10 Tage würde ich auch nicht bleiben können, da ich jedenfalls Anfangs October wieder in Berlin sein muß um die Habilitationsschrift zu schreiben. Vielleicht bist Du dann (oder vielmehr, wie ich hoffe, gewiß!) gesünder, und wir können mehr zusammen herumwandern, auch vielleicht zusammen zurückreisen. Dafür entgeht uns dann die Freude des zweimaligen Wiedersehens nach der doppelten Trennung. Ich bin unschlüssig, wie immer, weil ich im Voraus weiß, daß, was ich auch beschließen möge, es mir nachher als das Schlechtere erscheinen wird, und ich mich, wie immer, über meinen dummen u. unpraktischen Entschluß ärgern werde. Ich lege also die Sache ganz in Deine Hände und bitte Dich, mir möglichst bald zu antworten, wie Du es gehalten zu wissen wünschst. Ich glaube doch fast, daß es netter ist, wenn ich am 4 komme u. bis zum 15 dort bleibe. Hinsichtlich meiner Arbeiten bleibt es sich gleich. Nur fürchte ich, daß Ende September sich Alles sehr zusammen drängen wird und wir dann vielleicht noch weniger werden beisammen sein können, als jetzt. Schreibe mir also sogleich Antwort, liebster Schatz, und schicke den Brief spätestens || Freitag ab, daß ich ihn Sonntag noch habe und mich darauf einrichten kann. Mir selbst geht es jetzt wieder gut, obgleich der eine böse Zahn immer noch muckert. Ich bin jetzt gelegentlich des Forkelschen Besuchs einmal wieder ins Freie hinaus gekommen, was mir sehr wohl gethan hat. Samstag Nachmittag kam Karl mit sämmtlicher Familie u. mit Forkel, welche er in Neustadt im Wagen abgeholt hatte, hier an. Sonntag ließ das Regenwetter nach u. wir machten eine sehr hübsche Parthie nach dem Baa See. Der Wald war köstlich, nur sah er mich mit ganz betrübten Augen an, weil d mir das Beste an meiner Seite fehlte, was ich ihm mitzubringen versprochen hatte. Sonntag Nachmittag waren wir bei Aegidis, wo ich die ital. Aquarelle u. Photographien zeigen mußte, welche sehr bewundert wurden. Namentlich gerieth Prof. Aegidi aus Hamburg ganz in Ekstase. Abends waren letzterer u. Esmarch bei uns, wo es sehr lustig und lebhaft zuging u. auch Deiner viel gedacht wurde. Aegidi war sehr ausgelassen. || Montag früh machte ich mit Forkel u. mit Herrmaennchen, der theilweis auf meinen Schultern ritt, einen sehr hübschen Spaziergang durch das Hammerthal (der am meisten idyllischen Ort der Umgebung), wobei ich lebhaft an den April 1857 denken mußte, und über das Alaunwerk. Nachmittag führen die 4 Freunde zum Juristentag nach Berlin. Ich fuhr bis zum Schloßberg mit u. wanderte von da durch den Wald nach Haus. Meine Gedanken wanderten indeß nach einem andern Wald auf der Insel Usedom. Gestern habe ich wieder tüchtig gearbeitet u. so wird es diese Woche noch fortgehen. Ob nächste?

– Forkel war sehr nett. Nur schalt er mich sehr, daß ich uns dem langmähnigen „Teutoburger Waldmenschen“ einen kahlen Vandalen oder Mönch gemacht habe und meinte, ich e würde von Dir gehörige Schelte bekommen, daß ich mir meine blonde Mähne habe abscheeren lassen. Ist das wirklich der Fall? Wenn Du die blonden Locken lieber hast, als das garstige Gesicht des unartigen Erni, so kann ich dir ja zum 14. lieber erstere, als letzteres schicken! Du brauchst mirs nur zu schreiben! ||

Mimmi ist f mit den Kindern sehr wohl. Sie würde mit schreiben, wenn sie nicht große Wäsche hätte, u. läßt schön grüßen. Sie erwartet bestimmt, daß Hermine Berken sie auf ihrer Rückreise hier besucht. Wie lange bleibt denn Hermine noch bei euch? Es freut mich sehr für Dich, daß Du an ihr eine so nette Gesellschafterin hast. Sag ihr, daß sie sich meinen speciellen Dank verdient, wenn sie Dich recht nett pflegt.

– Ob Du wohl gestern bei dem kostbaaren Mondschein, der bei der klaren, kalten Luft wahres Silber ausstrahlte, hergedacht hast? Dann sind wir uns begegnet! Ich lag lange im Fenster u. konnte mich nicht von dem herrlichen sanften Schein trennen, der die Aenni Sehnsucht mächtigg erregte, h in Folge dessen ich sehr lieb u. süß von Dir geträumt habe. Du warst so lieb u. munter, daß ich nur von ganzem Herzen wünsche, daß Du es wieder in natura so bist.

Grüß Mutter und Hermine schön. Schreib mir ja gleich liebster Schatz, ob ich in 6 Tagen oder in 3 Wochen zu Dir kommen soll; schreib aber offen, wie es Dir am liebsten ist (oder vielmehr wie Du glaubst, daß es am vernünftigsten ist.).

Es grüßt und küßt Dich innig Dein treuer Erni.

a gestr.: ich; b gestr.: Ab; c gestr.: lange; d gestr.: ich; e irrtüml. doppelt: ich; f gestr.: b; g korr. aus: prächtig; h gestr.: so

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
29.08.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38319
ID
38319