Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Messina, 10./11. September 1859

Messina 10.9.59.

M. I.

Glückauf, liebster Schatz, aus dem schönen Sicilien, wo ich heut Mittag wohlbehalten angekommen bin. Geht Alles so fort, a wie es am ersten Tage langsam, so kann ich sehr zufrieden sein, denn Himmel und Erde, Thiere und Menschen, Berge und Stadt haben gewetteifert, mir einen möglichst freundlichen Empfang zu bereiten. Die allernetteste Empfangsüberraschung war aber Dein lieber Brief, mein bestes Herz, welcher zufällig durch einen außerordentlichen Expreßdampfer schon heut früh hier angekommen, mithin von Coeln, wo er am 4ten aufgegeben, nur 6 Tage gegangen ist. Sonst geht der regelmäßige Vapore am Samstag aus Marseille ab und trifft am Dienstag hier ein. Du mußt also den Brief Mittwoch in Berlin aufgeben. Von hier geht der Dampfer Sonntag früh ab (weßhalb ich Dir auch heut Abend noch, obwohl todtmüde, schreibe) und Du wirst den Brief vermuthlich Freitag erhalten. Das Porto scheint ebenso wie nach Neapel zu sein, und wollen wir auch mit dem Nichtfrankiren eben so fortfahren. Vorläufig steht nun die große Briefpause bevor, von der ich mich etwas sehr fürchte, da ich wohl erst Mitte October nach der Rückkehr von meiner Sicilischen Rundreise, b wieder neue Nachricht von Dir haben werde. Ich werde ebenfalls innerhalb dieser Zeit keinen Brief absenden können, da regelmäßige Postverbindung im Innern Siciliens gar nicht existirt. Ängstigt euch also nicht, wenn ihr erst Mitte October wieder von mir hört. –

11.9.

Gestern Abend war ich so müd, daß ich beim Schreiben einschlief; ich fahre nun, nachc der ersten, guten Nacht in Messina, wo ich vortrefflich geschlafen und von dem lieben Schatz geträumt, heut am Sonntag Morgen, fort. Ich verließ mit Allmers Neapel vorgestern Mittag (am 9.9.), wo wir uns auf dem großen Dampfer Etna (Calabro-Siculo), dessen Name also schon ein gutes Omen war, um 1 Uhr einschifften. Doch wurde so viel Ladung an Bord genommen, daß wir erst auf 5 Uhr den Hafen verließen. || Nie habe ich noch einen Ort, wo ich so lange gelebt, so gleichgültig, ja mit Vergnügen, verlassen, wie Neapel. Allerdings waren ringsum so viele liebe Orte, wo mir Mutter Natur durch ihrer reichsten Erfindung Pracht die genußreichsten Stunden bereitet, und nach den verschiedenen Hauptpunkten der herrlichen Küste, nach den glücklichen Campanischen Inseln vor allen, warf ich manchen sehnsüchtigen Blick hin, zugleich in der Hoffnung, sie einmal später meinem lieben Frauchen zu zeigen. Aber von der Stadt Neapel selbst und von ihren abscheulichen Bewohnern, die man gewiß als Auswurf der cultivirtend Menschheit ansehen kann und die an Lastern Alles in sich vereinen, was man nur denken kann, schied ich so froh und gern, wie ein Gefangener aus dem verhaßten Kerker. Ich mag das gute Papier nicht anfüllen mit Aufzählung der zahllosen, in Deutschland z. Thl. ganz unglaublichen Scheußlichkeiten, die unter der depravirten Bevölkerung Neapels, unter Jung und Alt, Vornehm und Gering, allgemein verbreitet sind und die sie ganz offen zur Schau tragen. Ich kann euch das später mündlich mittheilen, obwohl ihr eine solchen Grad der Verdorbenheit kaum für möglich halten werdet. Wir haben noch in den letzten Tagen unserer Anwesenheit mehrere Beispiele der elenden Schurkerei erlebt, die selbst uns, nachdem wir doch übere 5 Monat lang daran gewöhnt worden waren, überraschten. Fort mit diesen abscheulichen Menschen, auf Nimmerwiedersehen! Sollte ich mal je wieder nach Neapel kommen, so gehe ich noch am Tage der Ankunft, nach so kurzem Aufenthalt als möglich, nach Ischia oder Capri. Wie traurig, daß ein solches Schandvolk in dieser überaus prächtigen und reichen Natur lebt. Denn diese ist hier wirklich so wundervoll und unerschöpflich reich an den größten Schönheiten, daß man wohl auf keinem Erdenfleckchen so Viel wieder beisammen findet: diese wundervollen Berglinien, die reiche Küstenformation, || die zauberischen Inseln, die höchst interessanten vulkanischen Erscheinungen, der ewig heitere Himmel mit den schönsten Farben die reiche südliche Vegetation und die kolossale prächtige Stadt mit ihren Castellen und ihren Ausläufern, die sie rankend nach allen Seiten ausschickt und in den Schluchten die Berge hinauf kriechen läßt. Bei unserer Abfahrt sahen wir alle diese Herrlichkeiten noch einmal bei uns im herrlichsten Panorama vorüber ziehen u. die Natur hatte zu unserer Ehre noch dazu ein besondres Feierkleid angelegt, eine so prachtvolle Abendbeleuchtung, wie ich sie noch nicht gesehen; vor allen glühte der Vesuv in den allerköstlichsten Farbentönen.

Rings in weitem Halbkreis zog sich an dem reizenden Golfrund die weiße Häuserreihe hin, welche von der Spitze des Posilip beginnend, am ganzen langen Vorgebirg entlang, über Mergellina, Piedigrotta, an der Villa reale, riviera Chiaja entlang, durch die eigentliche ungeheure Stadt hindurch, dann am Fuß des Vesuv über Paludi, Portici, Torre del Greco bis Torre Annuziata meilenweit sich hinzieht und an die sich weiterhin Castellamare, Vico, Meta, Sorrent, Massa und die übrigen, fast ununterbrochen zusammenhängenden Ortschaften der Peninsola sich anschließen. Überall darüber die reizendsten Berglinien, links im Norden anfangend Ischia und Procida, dann unmittelbar sich anschließend die Küste von Cumae, Cap Misen, Bajae, Monte nuovo und Barbaro (Gauro), Camaldoli, darunter Sant’Elmo, weiterhin rechts die langen Ketten der Campanischen Gebirge und der hohen Apenninen, vor allen dann, alles überragend, der prachtvolle Vesuv, der heute in einem Wechsel und Gemisch von Gelb, Roth, Violett, Blau, Gruen, schimmerte und strahlte, wie ich es noch nie gesehen, und auf dessen Gipfel die Rauchwolke die berühmte, schöne Piniengestalt bildete. Rechts davon die lange zackige Kette der Sorrentinergebirge, darunter die höchste Spitze Mont Angelo, bis zum weit vorspringenden Cap Campanella; endlich der zaubrische Mittelpunkt und Schlüssel von Allem, das wundervolle, geheimnißreiche, Sphinxgleiche Capri, das mitten im Eingang des weiten prächtigen Golfes mit seinen herrlichen Formen, wie ein köstliches Denkmal, oder ein versteinertes Seewunder, hingelagert ist. || Die Sonne hatte schon ihre letzten rothen Goldstrahlen gespendet und färbte nur noch den Westhimmel in wunderbar purpurnen Tönen, und am Osthimmel war schon der liebe silberne Vollmond heraufgegangen, als wir an unserer lieblichen und großartigen homerischen Zauberinsel vorüberfuhren, der wir noch einmal herzlichsten Abschiedsgruß und 1000 Dank für die köstlichen dort verlebten Wochen, für einen schönen Künstlertraum, zuriefen. Durch die Meerenge zwischen Campanella und Capri durchgefahren, sahen wir dieses noch von der Südwestseite, von wo es uns durch eine neue reizende Form überraschte.

Das war der letzte Abschiedsgruß und nun versank rasch hinter uns die Neapolitanische Küste in nächtigem Dunkel und f der reine Vollmond leuchtete uns hoffnungsreich nach Sicilien vorwärts. Die Nacht war überaus schön und ich blieb den größten Theil derselben mit Allmers auf dem Vordeck, all die reichen Erlebnisse der letzten Monate noch einmal durch plaudernd und der lieben fernen Heimath in Wort und Lied sehnsüchtig gedenkend. Der Himmel war vollkommen klar, der Spiegel des Vollmonds im Meere prachtvoll, das Meer selbst ganz still und klar und nur die niedern Wellenkämme in Seeleuchten schimmernd. Als ich endlich spät zum Schlafe mich niedergelegt, umspielten mich süße Träume von meiner lieben Änni, mit der ich im Schlaf so viel plauderte und scherzte, daß ich am Morgen beim Aufwachen gar nicht mich besann, daß ich auf dem Schiff war, und erst mir die Augen reiben mußte, um g mich zu überzeugen, daß ich noch nicht in der lieben Heimath sei. Es war noch dunkel, etwa 4½ Uhr, als wir uns den liparischen Inseln näherten, so daß ich das interessante Schauspiel, den kleinen Strombolivulcan Feuer speien zu sehen, noch recht schön und nahe beobachten konnte. Alle 5–10 Minuten spuckte der kleine muntre Kerl einen Mundvoll vulkanischen Feuers aus, unmittelbar unter dem || Gipfel aus einer kleinen Seitenöffnung vordringend. Ein heller Lichtschein erleuchtete mehrere Secunden lang den ganzen Gipfel und dann versank wieder Alles in nächtiges Dunkel. Doch behielten wir die Aelolischen Inseln so lange im Gesicht, daß es noch vollkommen Tag wurde, ehe wir vorüber h waren, und daß wir die Form aller der kleinen Eilande recht gut übersehen konnten, besonders aber die äußerst scharfe und einfache, characteristischei Kegelform des nächsten, des Stromboli, der mit seiner permanenten Rauchwolke auf dem spitzen Haupte vollkommen wie ein großes Räucherkerzchen aussah. Beinah hätte übrigens auch der Etna Feuer zu speien angefangen, nicht der wirkliche, sondern nur sein Namensbruder, auf dem wir fuhren. Es waren nämlich aus dem Schornstein glühende Kohlen auf das über das Hinterdeck gespannte Zelt gefallen und hatten dieses in Brand gesteckt. Der Ruf: „Fuoco sul vapore, fuoco!“ setzte Alles in große Bestürzung und auf dem Hinterdeck ballte sich ein dichter Menschenknäuel zusammen. Ich saß, wie gewöhnlich, auf der äußersten und höchsten Spitze des Vorderdecks auf dem Bugspriet reitend, wo man immer den schönsten, freiesten Blick nach vorwärts hat und die vom Vorderkiel durchschnittenen Wogen unmittelbar über sich aufschäumen sieht. Als ich den Feuerruf hörte, maß ich mit den Augen die Entfernungen vom Schiff nach der calabrischen Küste und nach der Stromboli insel und entschloß mich, lieber nach letzterer hinzuschwimmen (was übrigens doch wohl die Arbeit eines Tages j gewesen sein würde!). Doch war dieser Entschluß glücklicher weise nicht nöthig, da das Feuer sehr rasch gelöscht wurde, noch ehe ichk mich durch den Menschenhaufen nach dem Hinterdeck hatte durcharbeiten können. Als wir uns nun mehr l Sicilien näherten, nahm der Strombolikegel eine zweispitzige Gipfelform an, indem er zugleich breiter wurde und seine Gestalt etwas der des Vesuvs näherte.

Zur Linken kamen uns nun die Apenninen von Calabrien sehr nahe heran; zur Rechten aber vor uns tauchte glänzend die schimmernde Nordostspitze Siciliens aus dem blauen Meeresspiegel auf, || das breitstirnige Capo Peloro, das wir jubelnd und hoffnungsvoll begrüßten. Von der Meerenge von Messina war noch nichts zu sehen, da dieser Canal schräg zwischen Insel und Festland durchgeht und also vorn und hinten durch die culissenartig vorspringenden Landzungen gedeckt wird. Je mehr wir uns der klassischen Trinarcria Insel näherten, desto schöner und klarer erhoben sich die über einander aufsteigenden Berglinien die wir an der Nordküste gegen Westen weithin über Merlazzo und Cap Orlando hinaus verfolgen konnten. Auch links traten die Calabrischen Gebirge immer näher und enger zusammen. Das schönste war aber die Einfahrt in die berühmte Meerenge selbst, wo uns rechts der Faro di Messina, links, auf dem calabrischen Ufer, die Scilla, prächtig in der Sonne glänzend begrüßten; deren südliche Gluth durch einen starken frischen Westwind angenehm gekühlt wurde. Herrlich öffnete sich nun das „Paradiso“ die weite halbrunde Küstenstrecke, zwischen dem Faro von Messina, dessen schimmernde Häuserreihen im Grunde des herrlichen Hafenrunds an die blau grünen, duftigen, zackigen Bergmauern sich anlehnte, über dem mehrere andere Gebirgsketten stufengleich sich erheben.

Doch fuhren wir zunächst noch nicht in den lockenden Hafen hinein, sondern zunächst an der kalabrischen Küste hin bis Reggio, wo vorher die bedeutende, dorthin gehende Ladung gelöscht und die vielen calabrischen Passagiere abgesetzt werden mußten. Das dauerte dann so lange, daß wir erst nach 1½ Uhr wieder abfuhren und um 2 Uhr in Messinas Hafen einfuhren. Die calabrische Küste jenseits ist auch sehr schön, abwechselnd mit schönen frischgrünen Orangengärten, Schilfpflanzungen und freundlichen Dörfern geschmückt, über denen Berge von sehr verschiedener Form und Farbe aufsteigen, die einen von weißgelben Sand, fast ganz nackt, andere dicht dunkel bewaldet, noch andre in rothem Granitfels und hellgrünem Waldschmuck zierlich gemalt. Reggio selbst macht keinen besonders schönen Eindruck und die spitzen deutschen Dächer, die auch hier viel sind, nehmen ihm den recht italischen Character. Von hier sahen wir zum erstenmal den Fuß des Etna, dessen Haupt || in Wolken verhüllt war. Weithingestreckt lag er im blauen Süd. Die Natur erschien übrigens bei unsrer Ankunft in Messina in schönstem Schmuck und Sonnenglanz und bereitete uns so einen sehr freundlichen Empfang, zu dem auch die Menschen das Ihrige beizutragen suchten. Die Sicilianer machen einen ungleich angenehmeren Eindruck, als die abscheulichen Neapolitaner, von denen sie selbst auch nicht wissen wollen. Am Bord schon empfing uns ein Deutscher, der Wirth unsres Hôtel, Herr Mueller (N. B. das Hôtel hat übrigens seine alte Firma, Hôtel du Nord in „Hôtel Victoria“ umgeändert, wonach also die Briefadresse zu modificiren ist.). Wir fuhren mit ihm ans Land, wo wir von den gewöhnlichen Douane-Plackereien sehr verschont blieben und rasch und glücklich in unser Hôtel gelangten, das gleichfalls einen sehr freundlichen Eindruck macht und unmittelbar am Hafen liegt. Die Bedienung ist durchweg deutsch und die Leute scheinen sehr freundlich und nett zu sein. Auch die Bestien waren zu meinem Empfange bereit, da ich schon vom Dampfschiff aus ein paar herrliche Quallenschwärme herum schwimmen sah, was ich mir, (nach römischen Auspicien-Grundsätzen!) als günstiges Omen deutete, wie auch, daß schon vor der Einfahrt in den Kanal ein Mevenschwarm uns umkreiste und lange vorher, Stromboli gegenüber, ein einsamer, verirrter Schmetterling von Sicilien her auf unser Schiff flatterte und sich auf meiner großen Botanisirtrommel niederließ; gewiß lauter höchst bedeutungsvolle günstige Zeichen. Weniger angenehm war der Empfang im Wasser selbst, obwohl sehr erfreulich. Als ich nemlich gleich nach der Ankunft mich im Hafen badete wurde ich von ein paar großen Schwimmpolypen m, seltenen Thieren, die ich noch nie gesehen, nächstdem aber von einer ganzen Heerde großer Quallen empfangen, welche mich mit ihren Nesselorganen so stark brannten, daß ich den ganzen Tag Schmerzen hatte und die Haut stark entzündet war. Gut, daß sie den Krieg angefangen haben; ich werde nun um so schonungsloser im Winter unter ihren Schaaren wüthen. Die Bestien sollen nur kommen! ||

Im Victoria-Hôtel selbst wohnt ein junger Arzt aus Altona, Edmund von Bartels, jetzt seit 2 Jahren hier ansäßig, der mir ganz gut gefallen hat und mit dem ich wohl viel zusammen sein werde. Ganz vortreffliche und höchst liebenswürdige junge Leute sind aber die jungen Klostermanns, bei denen ich gestern Abend, gleich nach dem Essen war, und ein paar Stunden mit ihnen plauderte.

Er ist der zweite Sohn der Frau Dr. Klostermann in Bochum, die mit Mutter und mir Herbst 53 in Rheme zusammen war, mit der Berkenschen Familie sehr befreundet. Er ist Kaufmann und arbeitet bei dem preußischen Consul W. Jaeger, an den ich auch eine Empfehlung habe. Die junge Frau Klostermann ist hier geboren, aber aus einer Schweizer Familie und nach Gesinnung und Wesen ganz deutsch. Sie hatten schon n gar nicht mehr geglaubt, daß ich herkommen würde, da der mich anmeldende Brief schon vor einem Jahr angekommen ist. Sie haben zwei sehr niedliche kleine Mädchen, mit großen blauen Augen und blonden Haaren, die ganz deutsch aussehen. Herr Klostermann war sehr zuvorkommend und freundlich und werde ich wohl manchen Abend in dieser lieben Familie zubringen. So war also der Empfang und der erste Tag in Sicilien ganz deutsch und ich fühlte mich gleich halb heimisch, was in Neapel nicht einmal nach halbjähriger Anwesenheit der Fall war. Überhaupt war mir zu Muthe, als sei die Reise schon fast vorüber und sollte ich schon rechto bald zur Liebsten in die theure Heimath zurückkehren, und doch steht mir die andere wenn auch kleinere, doch wichtigere Hälfte des Italienjahrs noch erst bevor. Aber ich habe hier endlich einen festen Ruhepunkt gefunden, von dem aus ich stetig und konsequent werde arbeiten können, was nach dem langen, unsteten Umherwandern, Aus- und Einpacken, Kommen und Gehen, sehr wohl thut, und ich werde hier mit frischer Kraft und neuem Muth an die Arbeit gehen, was ich in Neapel nicht konnte. || Die letzten 8 Tage in Neapel, vom 2–9, waren noch recht unruhig und ungemüthlich, was bei der Masse der Besorgungen, Packereienp Abschiedsvisiten etc, die ich zu machen hatte nicht anders möglich war. Nur bei Bloests, die nun jetzt nach Auflösung der Schweizer Regimenter (ein höchst wichtiges Factum, was für ganz Italien von der größten Bedeutung ist) auch wieder in ihre Heimath zurückkehren werden, verlebte ich ein paar recht nette Abende. Einige schöne Morgen war ich noch mit Allmers, mit Koehler und Bock (welche wir unerwartet hier wieder trafen) in dem köstlichen Museo Borbonico, wo wir bei den Pompejanischen Sachen und den Modellen, den Gemmen und Cameen, vor allen aber den köstlichen antiken Wandgemälden und Statuen noch lange weilten. Dieses reichste herrlichste Museum ist der einzige Schatz, den die Stadt Neapel selbst besitzt; sie ist dessen aber auch gar nicht würdig, wie schon dieq höchst infame, abscheuliche Art und Weise zeigt, wie diese entarteten Barbaren mit diesen köstlichsten Schätzen des classischen Alterthums umgehen, die sie in wahren Schweineställen untergebracht und in Trödelbuden zusammengepackt haben.

Das sollte bei uns sein; was würde deutsche Sorgfalt daraus machen und was deutscher Fleiß daraus erringen können! Am 8 September, dem Tag vor unserer Abreise, war das das berühmte Piedigrottenfest, das größte Neapels, eigentlich aber mehr Soldaten als Volksfest, da die Hauptsache in einer großartigen Parade, und darin besteht, daß der König mit dem ganzen Hof durch die Reihen der in 3fachem Doppelspalier aufgestellten Soldaten vom Schloß nach Piedigrotta (an der Mergellina) und zurück fährt. – So eben kommt der Wirt und verlangt den Brief für das Dampfboot. Also nur herzlichsten Gruß und Kuß an Dich und die lieben Alten und herzlichsten Gruß an alle Freunde und Verwandten. Tausend Grüße und Küsse zum 14.9. Sei recht glücklich. Dein treuer Erni.

Morgen, 12.9. reisen wir zunächst nach Palermo ab.q

a gestr.: ha; b gestr.: Na; c gestr.: durch; d irrtüml.: cultivirtirten; e eingef.: über; f gestr.: rei; g gestr.: zu; h gestr.: nahmen; i korr. aus: charackesche; j gestr.: gesei; k korr. aus: mich; l gestr.: der; m gestr.: und; n gestr.: ganz; o korr. aus: brecht; p eingef.: Packereien; q Textverlust durch Papierausriss, sinngemäß ergänzt; r Text weiter am oberen Rand von S. 9: Morgen, 12.9. … Palermo ab.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.09.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38280
ID
38280