Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Neapel, 3. September 1859

Neapel 3.9.59.

Tausend Glückauf, mein Liebchen, innigsten Kuß und herzlichsten Gruß zu dem neuen Lebensjahr, das Du am 14ten. September beginnst, hoffentlich recht frisch und munter und voll froher Hoffnung der reichen köstlichen Zeit, der wir entgegen gehn. Was gäb’ ich darum, heut ein Stündchen bei Dir zu sein, um Dir den reichen Quell meiner überströmenden Gefühle unmittelbar in Deine liebe, köstliche, offene Seele zu gießen. Wie ärmlich, dürr und nüchtern sind doch Feder und Papier, wenn sie versuchen wollen, solche Gedanken und Gefühle wiederzugeben; bleibt ja selbst das lebendige warme Wort so oft hinter dem, was es sagen soll, so weit zurück und ein Kuß auf Deine lieben Lippen, ein inniger Druck der warmen Hand sagt Alles viel besser. „Da’s aber nit kann sein“ – mußt Du diesmal schon mit dem kalten, nackten, todten Wort auf dem Papier vorlieb nehmena, welches mir manchmal wie ein ausgestopfter Vogel oder eine Seeanemone in Weingeist vorkömmt, die Leben, Bewegung und Farbe verloren haben. Auch die beifolgenden Reimereien, die mir heut bei der Überfahrt von Capri in den Sinn kamen und die ich Dir, so schlicht und schlecht sie auch sind, doch schicken muß, werden nicht viel dazu beitragen, meinen innigen warmen Gefühlen der glücklichen Zufriedenheit und der süßen Zukunftshoffnung, die mich an Deinem Geburtstag, meinem höchsten Feiertage, beseelen, einen bessern und lebendigeren Ausdruck zu geben. Bei solchen Gelegenheiten empfinde ich meine rohe Formlosigkeit immer doppelt schmerzlich da der reale Ausdruck der reichen Fülle idealer Anschauung so wenig entspricht und beneide recht meinen Freund Allmers um sein schönes Dichtertalent, mittelst dessen er seine tiefen Gedanken mit wenigen Worten so schön gestalten kann. ||

Wo wir beide am 14.9. sein werden, wissen wir wohl selbst jetzt noch nicht; ich werde Dich wohl kaum mehr am Rhein suchen dürfen, obwohl ich dies eigentlich recht wünschte, da es Dir in dem schönen Bonn bei den lieben Bleeks so wohl gefällt. Auch wäre es wohl „anständig“, daß Du dem alten ehrwürdigen Köln, indem vor grade 24 Jahren mein liebstes Prachtmenschchen das Licht der Welt erblickte, an diesem Tage einen Besuch abstattetest. Vermuthlich wirst Du aber schon in Westphalen bei den Verwandten sein. Da Du mir gar nichts Bestimmtes darüber schreibst, muß ich den Brief noch nach Bonn schicken und es dem glücklichen Zufall überlassen, ob er ihn Dir am Geburtstagsmorgen in die Hände führt. Ich wünsche, daß du in dieser Beziehung glücklicher bist, als ich am 16.2. war, wo ich in Lucca und Pistoja einsam und schicksalsvoll umher wandelte und ohne allen Gruß und Liebeszeichen aus der Heimath blieb, die ich erst später in Rom nachgeschickt erhielt. Da Du unter lieben Verwandten und in schöner Natur bist, wird es Dir ohnehin schon viel leichter gemacht; auch gehen wir ja nun schon mit raschen Schritten unserer Wiedervereinigung entgegen, da die größere und schwerere Hälfte des Trennungsjahres vorüber ist. Liebchen, wie jubelt mein Herz in dem Gedanken an den seligen Moment des Wiedersehens, den ich nur zu oft schon in der ungeduldigen Seele aufkommen lasse. Je mehr ich täglich meine Kenntnisse vermehre, meinen Horizont erweitere, je reicher Anschauungen schönster Kunst und reichster Natur ich täglich aufnehme, um so heißer und inniger strebt das Herz, meinen Allerliebsten das Alles mitzutheilen, in den klaren reinen Spiegel ihrer edlen, wahren Seele diese Fülle herrlichster Bilder auszustrahlen und sie verklärt daraus wieder zu empfangen. Was soll das ein selig Leben werden! || Ich werde Deinen Geburtstag vermuthlich an der Nordküste Siciliens feiern, vielleicht in dem herrlichen Cefalù, dessen gewaltiges Bild, kühn auf steilstem Fels am Meer thronend, uns auf der letzten Gemäldeausstellung in Berlinb so sehr entzückte, vielleicht auch schon in Palermo, wohin von Messina aus zunächst die Reise gehen wird. Wir werden nämlich am 9 von hier aufbrechen, nachdem vorher am 8 zu Ehren unseres Abschiedes noch das größte Volks- (d.h. Soldaten-) Fest Neapels, das Piedigrottafest, gefeiert worden ist. Am 10 werden wir in Messina sein und von da längs der Nordküste (etwa in 4–6 Tagen) nach Palermo gehen. Dann wahrscheinlich quer durch die Insel nach Girgenti, und dann über Syracus, Catanea, Aetna, Taormina, an der Ostküste zurück, so daß uns die Krone aller Genüsse bis zuletzt aufgespart bleibt. Wir werden wohl unserer drei sein, indem außer Allmers auch noch ein Freund desselben, ein Genremaler Willich (aus Rom) mitgehen wird, den ich zwar noch nicht kenne, für den ich aber schon dadurch ein sehr günstiges Vorurtheil habe, daß er als badischer Freischärler 1849 zum Tode verurtheilt wurde.

Briefe werdet ihr vermuthlich während dieser ganzen Zeit ebenso wenig, als ich Nachrichten von Euch, erhalten können und Du wirst Dich also schon einmal auf eine vierwöchentliche Pause gefaßt machen müssen, liebstes Schatzchen, da reguläre Post in Sicilien gar nicht existirt und Du erst nach der Rückkunft nach Messina, also Mittec October, Nachricht aus Messina erhalten kannst. Das wird uns nach dem bisherigen köstlichen regelmäßigen Briefverkehr sonderbar genug vorkommen. Da ich die Briefe doch nicht erhalten würde, wirst Du auch am besten thun, erst Anfang October wieder abzusenden. Die Adresse in Messina habe ich wohl schon im letzten Brief geschrieben: Dr. med. E. H. di Berlino – Sgre Mueller, Hôtel du Nord – Messina (Sicile) via Marseille. – Wegen Africa braucht ihr keine Sorgen mehr zu haben, da allem Anschein nach Nichts daraus werden wird, obwohl wir es sehr wünschten. ||

Wie gern, lieb Herz, schickte ich Dir zum 14 ein Aquarell oder auch nur eine Blume aus dem lieben Capri, aber der eng und knapp zugemessene Raum verbietet ja Alles und muß ich Dich in dieser Beziehung schon auf die Rückkunft vertrösten. Von Capri hab ich so ziemlich jeden interessanten Punkt gezeichnet und dürfte auch schwerlich ein anderer Forestiere, höchstens ein deutscher oder englischer Dichter, Maler oder Naturforscher so in allen Felswinkeln umhergeklettert, auf alle Höhen gestiegen, in alle Grotten hinein geschwommen sein, wie ich es gethan habe. Das war einmal ein wirklicher Genuß, und solche Bilder bleiben in aller Gluth der Farbe und allem Zauber der Form zeitlebens, während die gewöhnlichen touristischen Reiseerinnerungen, wo man immer nur unstät von einem Ort zum andern eilt, nur ein flüchtiges, allgemeines Panorama-Bild in der Seele zurücklassen, das sich von Jahr zu Jahr mehr in nebelhaften Duft und zu unbestimmten Schattenrissen verflüchtigt. Aus diesem Grunde verspreche ich mir von der Sicilischen Reise, so sehr ich mich sonst darauf freue und gespannt bin, weniger Genuß, da es, schon des theuren Geldes wegen, immer etwas in hastiger Eile gehen und vom Malen, woran mir jetzt Alles liegt, nicht viel die Rede sein wird. Vor dem Winter in Messina habe ich ein gelindes Grauen, besonders wenn ich daran denke, wie oft ichd bisher vergeblich meine Untersuchungen angefangen habe. Dort – oder niemals – muß aber durchaus ein Erfolg errungen werden. Ich wollt der böse Winter wär vorüber und ich könnte dirittissimamente in Deine Arme eilen, mein bestes Herz.

– Nun sei am 14. recht munter und vergnügt, mein liebes Schatzchen, laß die Wehmuth der Trennung nicht Herr werden über den muntern, hoffnungsfrohen Jugendsinn und denke recht viel an das künftige Jahr, wo wir Deinen Feiertag hoffentlich in süßestem, köstlichsten Beisammensein in dem lieben Heringsdorf feiern werden. Tausend, tausend herzlichste, innigste Grüße und Küße von Deinem lieben treuen Erni.

a eingef.: vorlieb nehmen; b gestr.: Messina; eingef.: Berlin; c gestr.: Anfang; eingef.: Mitte; d eingef.: ich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.09.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38264
ID
38264