Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Karl Haeckel, Jena, 19. September 1892

Rothenburg a. d. Tauber.

[Foto der Stadtansicht]

Jena 19. Septbr 92

Lieber Bruder!

Zu Deinem 68.st Geburtstage senden ich und meine Frau Dir unsere herzlichsten Glückwünsche, zugleich mit dem besten Dank für das prächtige Geschenk, durch das Du unsere silberne Hochzeit verherrlicht hast. Das Lenbach’sche Bismarck-Bild ziert die West Wand unserer großen Stube, zu deren übrigen Bildern (Neapel, Rottmann, Königsbrunn) es vortrefflich paßt. ||

Herzlichen Dank ferner für die beiden Familien-Bilder, die mich sehr erfreut haben. Von der Gruppe der beiden Eltern mit mir (aus dem Jahre 1854, Berlin!) bitte ich mir auf meine Rechnung noch ein Dutzend Abzüge bei Selle u. Kuntze zu bestellen. Das Bild des 20jähr. Studenten das damals „sehr gut“ censirt wurde wird meine Bekannten sehr amüsiren. – Sehr erfreut bin ich zu hören, daß Deine Gesundheit wieder ganz hergestellt ist und Du Dich Deines wohlverdienten „Otium cum dignitate“ erfreust. Du hast ja nun die schönste Zeit um Deine vielfachen litterarischen u. sonstigen Interessen zu pflegen, u. Deine Kinder u. Enkel zu genießen. ||

Ich denke in der I. oder II. October Woche nach Berlin u. Potsdam zu kommen. Wann kehrt T. Bertha wieder nach B. zurück? –

Bitte mir von den eingehenden Zinsen 1500 Mk aufzuheben.

– Vorgestern (Sonnabend) Abend bin ich wohlbehalten von meiner 6 wöchentl. Ferien Reise zurückgekehrt, von der ich Dir Viel zu erzählen habe. Die 3 Wochen in Schottland waren sehr anstrengend, durch die beschwerliche Arbeit der Plankton Fischerei auf der „Medusa“; ich habe aber viel Interessantes gesehen und für meine Anschauungen Viel gewonnen. Auch die 3 Tage in London (13–15) waren sehr interessant, besonders das prachtvolle große neue Museum für Naturgeschichte in S. Kensington. ||

Der Tag in Hamburg (am 22. Aug.) hat mich glücklicher Weise nicht mit Cholera inficirt, obwohl Gelegenheit genug dazu war. Ich trank eine ganze Flasche von dem berüchtigten Elbwasser, da ich von der bereits 8 Tage grassirenden Epidemie keine Ahnung hatte! Von den beiden Cholera-kranken russ. Juden an Bord unseres Schiffes („Weimar“) erfuhr ich erst am 26. Aug durch die Zeitung in Edinburgh.

– Sehr hübsch war der Ausflug in München (11–13 Aug.) und der Besuch des alterthümlichen Rothenburg (s. vis à vis). – Bitte Dir zum 20. auf meine Kosten ein Vergnügen von 30. oder 50. Mk zu machen (Buch? Familien-Souper?) Hier Alles wohl!

Mit herzlichsten Grüßen

Dein tr. Bruder Ernst

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.09.1892
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38110
ID
38110