Ernst Haeckel an Karl Haeckel, Portofino, 21. September 1880
Portofino bei Rapallo
(Genova, Riviera levante)
21. Sept. 80
Lieber Bruder!
Zu Deinem gestrigen Geburtstage nimm nachträglich meine herzlichsten Glückwünsche entgegen! Es war mir bei der Unruhe der letzten Reisetage nicht möglich, ein Stündchen zum Schreiben zu finden und meine brüderliche Gratulation rechtzeitig abzusenden. Wie Du aus beifolgendem Briefe an Agnes siehst, geht es mir sehr gut, und ich habe einmal wieder rechtes Reiseglück gehabt; dieses herrliche Plätzchen am Mittelmeer für mich zu finden. Ich wünschte nur, ich könnte Euch Lieben Alle ein paar Tage hier haben, um mit zu schauen und zu genießen. ||
Ich werde nun 4 Wochen hier bleiben, fischen, mikroskopieren, seebaden und malen, und dann Mitte October direct nach Genua (über den Brenner) nach Jena zurückkehren. Ich lebe hier so frei und so ganz im Genuß der herrlichsten Natur-Einsamkeit, wie einst vor 25 Jahren in den „herrlichen Tagen von Capri“! Sicher ist Portofino eines der allerherrlichsten Prachtplätzchen am Mittelmeer, und es ist ein Glück, daß kein Wirthshaus im ganzen kleinen Flecke existirt, das Berliner Juden und andere Fremde aufnehmen könnte. Nicht einmal ein Fahrweg führt hier hinan!
Näheres bald folgend! Heute nur noch herzlichste Grüße an alle Lieben, vor Allem an unsere gute liebe Mutter.
Adresse Sgn. Professore H. – Castello Portofino presso di Genova (Italia)