Haeckel, Ernst

Hôtel Bellevue Lugano (Tessin)

10 Sept 75

Meine geliebte Agnes!

Endlich, endlich habe ich heute Morgen die ersten, so sehr ersehnten Zeilen von Dir erhalten, und zwar den von Pontresina hierher nachgeschickten Brief vom 3. Sept.

Ich beeile mich nun, dem gestern an Dich abgeschickten (dritten) Brief heute gleich den viertena folgen zu lassen! Dein Vorschlag, daß wir uns in Berlin treffen (Ende September) ist vielleicht vernünftiger, als mein sehnlicher Wunsch, daß Du noch in die Schweiz kömmst. Es wird nämlich doch die Zeit für letztern etwas zu kurz und außerdem scheint der Herbst in diesem Jahre frühzeitig kalt und regnerisch zu werden. ||

Wir sind zwar mit dem Wetter bisher recht zufrieden gewesen es war kühl, der Himmel meist halb bedeckt, regnete wenig.

Aber oben im Gebirge soll es sehr kalt und regnerisch sein, weßhalb wir auch Pontresina ganz aufgegeben haben.

Nun schlage ich Dir Folgendes vor:

In der letzten September- Woche treffen wir uns in Berlin, bleiben dort und in Potsdam einige Tage, und fahren dann zusammen nach Dresden, wo wir uns 8 Tage sehr gut amüsiren können, namentlich bequem und behaglich! Ich erwarte Antwort von Dir in Brunnen, wohin ich einen recommandirten Brief (4 Groschen!) zu senden bitte unter folgender Adresse: ||

Professor Haeckel. Brunnen. Canton Schwyz. Schweiz.

Ich bleibe bis Sonntag (inclusive) hier in Lugano, reise Montag (13. Sept) über den Lago Maggiore nach Bellinzona, den 14. über den St. Gotthard und denke am 15. (spätestens 16. Sept) in Brunnen zu sein, wo ich 3-5 Tage bleiben werde.

Nöthigenfalls telegraphire nach Brunnen (poste restante).

Am 21-24. Sept. würde ich dann die Schweiz verlassen, und entweder direct oder über Bonn nach Berlin reisen. Ich glaube der Aufenthalt in Dresden b und Umgebung, würde Dir recht gefallen.

Schreibe mir also jedenfalls nach Brunnen Deinen bestimmten Beschluß. ||

Schicke den Brief spätestens am 16. oder 17. ab.

Du hattest Deinen Brief hierher nicht ordentlich frankirt, weßhalb ich 4 Gr. Strafe zahlen mußte!

Die Briefe nach dem Ausland kosten 2 Groschen (recommandirt 4).

– Die achttägige Reise mit meinen beiden Freunden zusammen war insofern recht nett, als wir uns mal ordentlich ausplaudern konnten. Aber von Naturgenuß war dabei sehr wenig die Rede, und von irgendwelcher Anstrengung gar nicht.

Meine beiden Freunde sind überaus bequem und faul; ihr erstes Interesse ist, überall in einem Gasthofe I. Rangs zu logiren, möglichst gut zu essen und möglichst viel Geld auszugeben; worin ich, die Du weißt, andere Ansichten habe. ||

II

Wenn Gegenbauer und Fischer nicht wenigstens 20 Frcs täglich (5 ½ Thaler) für die nothwendigen Bedürfnisse ausgeben, sind sie nicht befriedigt. Wein natürlich immer möglichst theuer (und schlecht!)

Es ist unglaublich, wie diese Heidelberger capuanisch verwöhnt sind!

Dabei spricht Kuno beständig von seiner Angst um sein Haus und seinen Arnheim- Geldschrank, sowie den gesunknen Cursen der Eisenbahn- Actien! Der höhere Philosoph!! Carlo ist der reine Angsthase geworden.

Er fährt nie mehr per Boot, weil dieses möglicherweise Schiffbruch leiden könnte. Bei jeder Brücke probirt er erst, ob Sie sicher zu passiren ist!! ||

Auch fährt Carlo nur in Zweispännern, weil erfahrungsgemäß viel mehr Unglücksfälle mit Einspännern als mit Zweispännern passiren!

– Kurz, von eigentlicher Gebirgs- Reise ist bei Beiden nicht die Rede!

Nächstes Jahr, mein geliebtes Weibchen, wollen wir zusammen ein paar Monat nach der Schweiz und Ober- Italien reisen, und dabei dies heuer Versäumte nachholen!

– Hoffentlich seid Ihr Lieben Alle recht munter!

Grüße mir Alle herzlich und gieb den 3 süßen Kindern von mir ein Küßchen. Beifolgende Zettel schicke (in einem Couvert) an Duffts Buchhandlung. Schicke den rcommand. Brief nach Brunnen spätestens am 16. oder 17. Sept. ab. Herzlichste Grüße Dein treuer

Ernst

a korr. aus: dritten; b gestr.: würde;

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
10.09.1875
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37626
ID
37626