Haeckel, Ernst

Jena 10 Juli 71

Liebste Agnes!

So eben (Montag Nachmittag a 3 Uhr) bin ich glücklich von meiner Rückreise hier in unserm alten Neste wieder eingetroffen. Mein Wunsch, schon heute morgen wieder hier zu sein und meine Vorlesung zu halten, wurde ärgerlicher Weise durchkreuzt.

Als ich nämlich um 1 Uhr Nachts von Eisenach mit dem Schnellzug weiter fahren wollte, erklärte der Schaffner (was ich schon unterwegs zu fürchten begonnen hatte) daß mein Retour- Billet (von Eisenach bis Apolda) für den Schnellzug nicht gelte. Ich hatte also bloß die Wahl, mir noch ein Schnellzugs- Billet für 3 rl zu lösen oder in Eisenach für ½ rl zu übernachten. Da nun das letztere offenbar billiger und auch angenehmer war ( – denn ich war sehr müde und der nächtliche Spaziergang von Apolda nach Jena erschien mir || trotz seiner Romantik nicht grade im günstigsten Lichte!) – so blieb ich die Nacht in Eisenach und fuhr heute Morgen um 8½ Uhr weiter. Um 12 Uhr waren wir erst in Apolda, wo eine Fahrgelegenheit nicht zu finden war. Ich entschloss mich also bei strömendem Regen den schönen alten Weg zu Fuß zu nehmen und fand dazu sehr gute Gesellschaft an einem Artillerie- Unterofficier mit dem eisernen Kreuz, der seine Braut (Köchin bei Gerhardts) besuchen wollte. Total durchnäßt kam ich um 3 Uhr hier an. Unsere beiden lieben Kinderchen fand ich sehr munter und wohl. Walther ist sehr ausgelassen und hat seinen Trennungsschmerz schon ganz überwunden. Er sagte zwar gleich: „Mama auch wiederkommen, und O- Mama auch!“ beruhigte sich aber sofort mit den vier mitgebrachten Lett- Lett´s aus Nauheim! ||

Nun, liebste Agnes, schreibe mir recht oft und ausführlich. Du hast in Deinem interessanten und ereignißreichen Badeleben mehr Stoff zu Briefen, als ich hier in dem alten stillen Jena- Neste. Sei gegen Prof. Bonitz´s und gegen Dr. Boden´s recht liebenswürdig, wie Du es sein kannst, wenn Du willst!

Grüße sie bestens von mir.

An die liebe Mama selbstverständlich die herzlichsten Grüße. Hoffentlich höre ich bald recht Gutes von Euch! Laß Dich nur nicht entmuthigen, wenn Dir die Bäder zuerst nicht gut thun; nachher werden um so günstiger wirken.

– Für mich beginnt nun morgen der häusliche Kram. Auch ein besonderes Vergnügen! Beste Grüße und Wünsche für Dich und Deine Mutter

von Deinem treuen Ernst.

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Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
10.07.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37580
ID
37580