Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 26. Oktober 1877

Potsdam 26/10 77. | Lindenstraße Nummer 42

Mein lieber Ernst!

Recht leid ist es mir, daß Du und Deine liebe Frau beide unwohl wart. (ich hoffe mit Zuversicht, daß Ihr beide wieder recht frisch seid, und Euch nun ungetrübt Gottes schöner Natur freuen könnt.

In dem verwünschten München seid Ihr alle Mahl krank geworden, so daß ich schon besorgt war, als Ihr hin gingt. Auch hatte ich es mir gedacht, daß die Versammlung und alles, was drum und dran hing sehr angreiffend für Dich sein würde. Nun, Du hast || die ganze Sache aus ein [!] Pflichtgefühl übernommen, und so mag es gut sein, und müssen wir uns in den Folgen fügen. Nur glaube ich, mein Herzens Ernst, Du mußt darnach ringen, noch mehr Gleichmuth und Seelenruhe zu gewinnen, und das ist gewiß nöthig von Deinem Standpunkt, den Du in der Wissenschaft einnimmst. Unser irdisches Sein und Streben ist und bleibt ein unvollkommenes, jeder muß nach einem höheren Ziel ringen und streben; aber wer erreicht das Höchste und Beßte? Jeder muß sich nur darum bemühen so weit zu streben als es sein Lebenskreis erlaubt. ||

Zunächst danke ich Dir herzlich für Deine beiden Briefe, durch Karl wirst Du den richtigen Empfang des ersten erfahren haben, ich habe Dir da nicht geschrieben, weil ich noch nicht recht war, und Dir doch nicht die Wahrheit verheimlichen wollte. Deine gehaltene Rede habe ich gleich mit großem Interesse gelesen. Da wirst Du freilich sagen: meine Alte versteht davon nichts, und wenn Du das auch vielleicht mit Recht meinst, so hat sie mir doch viel Freude gemacht, wir Frauen müssen uns nur Mühe geben aus dem gelehrten Kram, das zu nehmen, was für uns paßt. Ich habe das Heft an Karl zu-||rück gegeben, da er seinen Nahmen drauf geschrieben, hat er es wohl als Geburtstags Geschenk angesehn, und das ist mir recht lieb; ich werde doch schwerlich zum zweiten Lesen derselben kommen; und kann es mir ja auch immer von ihm borgen. Ihr habt mir eine große Freude gemacht, daß Ihr mir Claras Brief mitgeschickt habt, so habe ich doch vom Ergehn Euerer drei lieben Kinder gehört.

Sonnabend ist nun Walters Geburtstag, dazu werden sich wohl unsere Gedanken vereinigen im Gebet, daß Gott ihn seegenen möge, und der liebe Junge zu Euerer Freude leiblich und geistig gedeihen möge. ||

Du fragst, mein lieber Ernst, ob ich mich in der neuen Wohnung behaglich fühle, dazu ist alles eben noch zu neu, und giebt noch viel zu schäfteren, doch glaube ich es wird sich machen.

Von unserem einförmigen Leben zu berichten, wage ich kaum, es sticht zu sehr von Euerem schönen Naturleben ab; und doch sollst Du wissen wie es geht. Gott sei Dank: Karl ist mit den Kindern gesund, und mir geht es jetzt auch wieder gut; in der Nacht vom 16ten zum 17ten wara mir nicht recht und ich ließ früh Epmeier rufen, der mich dann auch fleissig besucht hat, || einige Tage hatte ich Hausarrest, konnte doch am 20ten bei Karl zu Mittag sein, Bertha war dazu den Tag vorher hergekommen und blieb bei mir bis Freitag. Ich hatte früher gebeten, daß Karl mit den Kindern bei mir sein sollte, um ihn mehr über die Erinnerung weg zu bringen; Karl wollte nicht und es war ja auch so gut, da ich den Tag noch sehr matt war. So haben wir Sonntag bei mir nachträglich Karls Geburts Tag und Mariens, der den 24 war, zusammen gefeiert, Karl war mit sämtlichen Kindern selbst Siegfried mit der Amme hier, was mir eine große Freude machte; leider war aber, wie fast täglich Regenwetter. ||

Heute scheint es besser zu werden, wenigstens scheintb etwas Sonne; es ist aber so kalt, daß ich schon seit mehreren Tagen heize, die Oeffen scheinen gut, jeden Falls wird die Wohnung sich wärmer erweisen, als die frühere. –

Wann denkt Ihr heimzukommen? wann fangen Deine c Vorlesungen an? So möchte ich noch nach mancherlei fragen, aus der Zeitung sah ich, daß Seebeck ab geht, davon hast Du mir nichts geschrieben. Ist schon sein Nachfolger ernannt? Das ist gewiß für Dein Värhältniß wichtig wie der Nachfolger sein wird.

Bleiben Seebecks in Jena? ||

Hoffentlich erhalte ich bald von Euch gute Nachricht, daß Ihr das münchener Uebelbefinden ganz überwunden habt, seid nur ja vorsichtig und Du, mein Herzens Sohn, mache nur keine waghalsige Touren, ein berühmter Professor muß vorsichtig sein, und besonders bedenken, mit welcher Sorge die alte Mutter an Euch denkt. Mit herzlichen Gruß an Dich und Deine liebe Frau wünscht Euch eine glückliche Reise und schönes Wetter

Deine

alte Mutter

Lotte Häckel.

a korr. aus: wäre; b korr. aus: erscheint; c gestr.: Ferien

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
26.10.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36749
ID
36749