Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 6. September 1877

Potsdam 6/9 77.

Lieber Ernst!

Recht lange habe ich nichts von Dir gehört, und meine Sehnsucht wächst jeden Tag, Du hast Deine alte Mutter durch Deine Liebe so verwöhnt, daß es mich befremdet, wenn ich so lange keinen Brief von Dir erhalte; mich kannst Du mit dem gedruckten nun einmal nicht abspeisen, denn Du erhältst von mir weder Lobeserhebungen über wissenschaftliche Forschungen noch von mir verfaßte gelehrte Werke; da muß schon Dein Herz zu mir sprechen. || Durch Heinnrich habe ich wohl mündlich gehört, daß es Dir mit Frau und Kindern gut geht, und mich herzlich darüber gefreut, wie auch daß Du die Freude hast, lieben Besuch Deines Freundes aus Glasgau zu haben.

Auch erzählte er mir daß jetzt die Rede gedruckt würde für München, das finde ich zu komisch, da können die Leute sie ja lesen bevor Du sie hältst. Nun rüstest Du Dich wohl mit Agnes zur Reise, wozu ich Euch alles Gute wünsche, || Gott geleite Euch mit seinem Seegen, daß kein Ungemach Euch treffe, und Ihr wohlbehalten heimkehrt und die Kinder gesund und munter findet. –

Diesmal erhalte ich hoffentlich Deine Tagesberichte von der Reise, den Du wie immer schreiben wirst, ich werde sie Dir auch orndlich aufheben.

Unter meinen Sachen wirst Du einst noch manche Schreibereien von Dir finden, die ich aufgehoben habe, und Dich später interessieren werden. –

Ich bin jetzt auch gewissermassen in Reiseunruh, aber || ganz anderer Art, weniger angenehm, ich denke, so Gott will, künftigen Mitwoch die neue Wohnung zu beziehen, und da bin ich jetzt schon in Vorbereitungen. Diese Woche habe ich Wäsche gehabt; heute wollte ich plätten, aber Mariechen litt es nicht, und that es für mich; beim Umzug wird Anna mir behülflich sein, auch abwechselnd Marie. Damit Du nicht ganz um das Vergnügen kommst des Wohnungswechsels, werde ich die Bilder verpackt stehn lassen bis Du kommst, ich habe sie am liebsten von Dir aufgehenkt. – ||

Du, mein lieber Ernst, bist jetzt wie gewöhnlich vor einer Reise wohl sehr beschäftigt und wirst da wohl ungern schreiben, und doch muß ich Dich bitten mir nur mit ein paar Worten eine Frage zu beantwortten: ich möchte gerne Deinem Walter zu seinem Geburtstag eine kleine Freude machen, habe darüber hin und her gedacht, und meinea, ob ihm vielleicht Campes Robinson Freude machen würde, nun || möchte ich aber von Dir wissen, ob er ihn nicht schon hat, oder ob Du etwas anderes mir für ihn vorschlagen kannst. –

Karl ist wieder wohl, und den Kindern geht es gut, der kleine Siegfried war heute allerliebst. –

Grüße Agnes und die Kinder herzlich von Deiner alten Mutter. Gott geleite Euch auf der Reise, aber seid auch vorsichtig, darum bittet Dich

Deine

alte Mutter

Lotte

a korr. aus: meinte

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.09.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36742
ID
36742