Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Agnes Haeckel, Potsdam, 9. – 12. März 1876

Potsdam 9/3 76.

Liebe Agnes!

Da mein Sohn Ernst sich heute wird auf Reisen begeben haben, so will ich doch seiner lieben Frau einen kleinen Besuch machen. Das kann nun leider nur schriftlich geschehen. Hoffentlich geht es Ernst auf seiner Reise ganz nach Wunsch und er kommt befriedigt und gesund heim. Ich freue mich sehr, daß ich ihn auch einige Tage hier bei mir haben werde, nur leider kann es nur wenige Tage sein, und der unruhige Sohn wird wohl vielerlei vor haben. Wohl wäre es sehr hübsch, wenn Du auch bei uns sein könntest, und ich hatte es mir schon so ausgedacht, daß Du Deinen Mann hier überraschtest; aber bei dem schlechten || Wetter und der kurzen Zeit habe ich kaum den Muth, Dich auf zu fordern; besonders da Du zum Aprill einen Mädchenwechsel hast. Ist denn Aussicht, daß Du Augustens Stelle wieder gut besetzt bekommst. – Aber bestimmt rechne ich darauf, daß Du mir im Sommer mal die Freude machst, mit allen 3 Kindern zu mir zu kommen. –

Für Deinen lieben Brief habe ich Dir selbst meinen Dank noch nicht ausgesprochen, und doch hast Du mir eine sehr große Freude gemacht, daß Du mir von den Kindern und Euerem Leben etwas mittheiltest. Sind doch meine Gedanken so oft bei Euch, Lieben, und da interessiert mich alles aus Euerem Ergehn. – ||

Vor allem freue ich mich, daß Ihr in diesem Winter gesund geblieben seid, und Freude am Gedeihen der Kinder habt. Ach, wenn ich nur das liebe, kleine Kleeblat zu weilen sehn und herzen könnte. Hoffentlich geht es Deiner lieben Mutter auch bald wieder gut. Wir alten Leute müssen uns wohl dran gewöhnen, daß so manche Beschwerden mit dem Alter sich einstellen; und besonders schwer wird es, sich darin zu finden, daß man nicht viel mehr leisten kann, und dadurch sich selbst so überflüssig vor kommt. Doch ich will Dir ja nicht vorklagen, || Du bist ja noch jung, und hast noch ein reiches Leben um Dich, was Deine Thätigkeit verlangt. Ich freue mich auch, daß Ihr in diesem Winter mehr Geselligkeit gehabt habt, und durch Theater und Musik manch schönen Genuß. Wie ist es aber: vernachlässigt meine Agnes auch nicht ganz ihr musikalisches Talent? Du kannst doch dadurch Deinem Mann und den Kindern manch schöne Stunde bereiten, und gewiß ist es gut, wenn bei den Kindern schon früh der Sinn dafür geweckt wird. Hast Du Deinen Vorsatz ausgeführt wieder Uebungsstunden zu nehmen? – – ||

Sonntag 12/3

Schon 3 Tage liegt mein Gruß an Dich angefangen in der Briefmappe, und ich konnt immer nicht zum Schreiben kommen. Donnerstag war ich von Wäsche etc. so müde Abends daß ich nicht schreiben konnte, Freitag Abend besuchte mich Herrmann und gestern Nachmittag kam Bertha aus Berlin, und Abends kamen Karl und Clara zum Thee. Heute war ich mit Bertha bei Karls zu Mittag. Leider haben wir seit Mittag schlechtes Wetter, und doch wollte sich Bertha nicht entschliessen hier zu bleiben, da sie Uebermorgen bei sich Gesellschaft habe, wozu sie noch Einladungen etc. besorgen müsse, und || war sich froh beim strömenden Regen noch eine Droschke zu bekommen, ich trank noch mit den Kindern und Enkeln Thee, und war so durchnäßt von dem kurzen Weg, daß ich die Kleider wechseln mußte, wie wird es da Bertha gehn? Mit Leidwesen hörte ich von Bertha, daß Georg Reimer erkrankt sei, und auch seine Frau unwohl sei. Da wird Deine Schwester Marie auch sorgenvolle Zeit haben. Hoffentlich geht es bald besser. Berthas Besuch hat mir viel Freude gemacht, sie hatte auch || Nachricht von Bleeks aus Amerika. Auch Bertha Petersens geht es mit der Heilung gut, nur darf sich nicht, wie sie wünschte, zu Hause reisen, Quinke will daß die Wunde erst in Berlin ganz geheilt sei. –

Grüsse Deine liebe Mutter herzlich von mir. Gott behüte Dich und die Kinder; und gebe unserm lieben Ernst eine glückliche Reise und frohe Heimkehr. Behalte lieb

Deine

alte Mutter

Lotte Häckel

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.03.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36689
ID
36689