Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Agnes Haeckel, Potsdam, 22. August 1873

Potsdam d. 22sten

August 1873.

Liebe Agnes!

Diese Zeilen sollen Dir sagen, daß ich gestern Abend um halb acht Uhr hier glücklich angekommen bin. Die erste Fahrt von Jena war ungemein angenehm und vom schönsten Wetter begünstigt; der Einspänner, den wir hatten, ist so ausgezeichnet, daß Du Dir ja den Fuhrmann merken mußt, wenn Du mal fahren willst, der Wagen fährt so angenehm, wie man es nur wünschen kann, auch das Pferd ist sehr gut. – In Apolda mußten wir ziemlich lange wart-||ten, dann kam erst Ernstens Zug, und ¼ Stunde später fuhr ich ab, die Fahrt war sehr heiß, auf allen Bahnhöffen Gedränge, und neue Passagiere, dabei ging ein scharfer Wind den ganzen Tag; in Halle war nur kurzer Aufenthalt, so daß ich balda einsteigen konnte, nachdem ich gehörig hin und her geschickt war. – In Magdeburg war es am schlimmsten erst mußte ich sehr weit, über mehrere Bahnen gehn, und dann noch ein paar Stunden wartten, ehe ich Billiet bekommen || konnte, und mein Gepäck besorgen. Hier auf dem Bahnhof empfing mich mein Sohn Karl mit den 4 jüngsten Söhnen. Hier wurde mir nun die Unannehmlichkeit, daß Marie nicht gekommen sei; da der Brief nicht müsse angekommen sein, da ihr Mädchen, eine Cousine Mariens, zufällig durch meine Briefe gehört, Marie verlange sehr nach Nachricht; mein Sohn hatte nun gleich telegraphiert, daß Marie gleich kommen müsse; da das aber nur spät sein könne, so würde Clara bei sich ein Bett für mich machen lassen, und ich b müsse um || so mehr zu ihnen fahren, da sie auch nicht die Schlüssel zur Wohnung hätten. Um 10 Uhr kam dann noch Marie an, und wurde für die Nacht denn auch auf dem Kitz noch untergebracht. Clara wollte auch ich solle noch heute bei ihnen bleiben, aber ich hatte doch zu großes Verlangen wieder in Ordnung zu kommen. So fuhr ich dann früh mit meinen Siebensachen her, und habe den ganzen Tag zu Kramen gehabt; so daß ich nur wenig an die Höser, wie es wie Lisbet sagt, nähen konnte. ||

Wie einsam war mir aber heute zu Muth da ich Euch und die Kinder vermißte. Nun ich muß ja dankbar froh sein, daß mirc so viel liebes in den Kindern und Enkeln gegeben ist. Zu meiner Freude fand ich hier alles gesund; und das kleine Volk war so herzlich, schon in der Droschke meinten die kleinen Jungen: der Kober röche so schön, darin wäre gewiß wieder Jenaer Prophetenkuchen, den sie sich denn auch trefflich schmecken liessen. – ||

Hoffentlich werden unsere beiden Jenaerkinder bald den Husten ganz loos, ich denke das wärmere Wetter wird den Kindern gut thun, dann hast Du, liebe Agnes, auch mehr Ruhe in den Nächten. Halte Dich nur recht frisch und gesund, daß Ernst sich freut, Dich wohl wieder zu sehn. Von Herzen wünsche ich Gutes von Euch zu hören, und daß es unserm Ernst auch auf seiner Wanderung gut gehe; die er schon zwischen Jena und Apolda an-||fing, da er ein Stück Wegs durch den Wald ging, ich habe ihn noch sehr gebeten, besonders Anfangs der Reise nicht zu starke Touren zu machen, da erd lange keine Fußreise gemacht. Nun wir wollen das Beßte hoffen, daß es ihm gut gehe und er recht erfrischt und heiter heimkommt, das gebe Gott! – – Noch bitte ich Dich dringend mir mitzuschreiben, wenn Du Nachricht von ihm hast, er wird mir nicht schreiben; aber sage mir auch, wie es Dir und den Kindern geht. ||

Empfiehl mich Deiner lieben Mutter beßtens und grüsse Clara herzlich. Walter und Lisbet gieb von mir einen herzlichen Kuß und sag ihnen, wie ich mich freuen würde, wenn ihre liebe Mama mir schreiben könne, daß sie nicht mehr so verboßt sich auf die Erde werfen. –

Es ist mir eine große Befriedigung, daß ich Euch diesmal so zufrieden und wohl gefunden habe. Gott sei ferner mit Euch, das wünscht von Herzen

Deine alte Mutter

L. Häckel.

a gestr.: gleich; eingef.: bald; b gestr.: soll; c gestr.: ich; eingef.: mir; d eingef.: er

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.08.1873
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36535
ID
36535