Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Agnes Haeckel, Potsdam, 5. März [1873]

Potsdam d. 5ten März

Liebe Agnes!

Erst heute komme ich dazu, Dir zu melden, daß ich Sonntag glücklich zwar sehr matt und müde hier angekommen bin. Es war mir sehr lieb noch bis Corbete mit Ernst zu sammen zu sein, und hoffe ich nur sehnlich, daß ihm die Reise gut thut und wieder erfrischt, er bedarf sehr der Erholung, er ist nicht bloß von der angestrenkten Arbeit angegriffen, denn Arbeit ist ihm zum Glück Bedürfniß, sondern viel mehr drückt es gewiß ihm, || daß beide Kinder nicht ganz wieder gesund waren, und es Dir so schwer wurde, Dich in das Unvermeintliche zu finden. Nun mit Gottes Hülfe wird es ja hoffentlich bald besser werden, daß Du mit Muth und Zuversicht der nächsten Zeit entgegen gehst. Wie gerne möchte ich Dir das alles erleichtern, leider kann ich aber nichts für Dich thun: nur um eins muß ich Dich dringend bitten: halte streng darauf, daß die Kinder Dir aufs || Wort folgen, hast Du das einige Tage mit Gleichmuth fortgesetzt, dann hast Du viel gewonnen, dann erleichterst Du Dir die ganze Erziehung, und erzeigst Deinen Kindern die größte Liebe, und ersparst ihnen die harte Lehre, durch das Leben erzogen zu werden. Als ich hier ankam, empfingen mich Karl und Clara auf dem Bahnhof und nahmen mich gleich mit zu ihnen, wo ich den ganzen Tag blieb; die Kinder hier waren gesund und alle sehr herzlich unda fröhlich. Marie schickten wir vom Bahnhof mit den Sachen || nach meiner Wohnung, dieb sie heizen mußte, gelüftet hatte schon Anna Morgens. Marie kam dann auch zu Karl, und ich fuhr Abends mit ihr in einer Droschke mit den Sachen, die Karl mir aufgehoben hat, zu Hause. – Bei Tisch fand ich vor meinem Teller ein Sträußchen Schneeglöckchen, die mir die Kinder im Garten gepflückt hatten. ||

Der Prophetenkuchen ist ganz gut hier angekommen, und wurde mit großem Jubel vom kleinen Volk verzährt. –

In Gedanken bin ich noch viel bei Euch, und mich verlangt sehr zu hören, wie es Dir und meinen beiden Lieblingen geht. Ist Walter ausgewesen? und kommt bei ihm und meiner Lisbet nicht mehr der böse Bock? Schreibt mir doch auch ob es Dir nun möglich || ist, mehr mit den Kindern sein zu können?

Für Walter und Lisbeth habe ich meinem Versprechen gemäß auf der Reise Gnadauer Pretzel gekauft, die ich mit dem Zeug zum Sopha schicken wollte. Nun habe ich aber alles durchsucht und finde nun nur kleine Stücke. Willst Du nun nicht einige Ellen schwarze Leinewand kauffen, und damit den c Sitz des Sophas belegen; damit es || orndlich aussieht, denn neu beziehen kannst Du es doch erst, wenn die Kinder sich das Tramppeln darauf abgewöhnt haben.

Sobald Du Nachricht von unserem lieben Ernst hast, bitte ich Dich dringend, es mir gleich mitzutheilen; ich sehne mich sehr darnach. Wie geht es denn Deiner lieben Mutter? kann sie das Bett verlassen? grüsse sie und Clara herzlich von mir. –

Küsse und herze mir meine beiden lieben Kinder, und habe guten Muth. – ||

Seid alle Gott befohlen. Mit herzlicher Liebe grüßt Dich

Deine

alte Mutter Lotte.

a eingef.: und; b gestr.: wo; eingef.: die; c gestr.: Sti

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.03.1873
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36511
ID
36511