Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Agnes und Ernst Haeckel, Potsdam, 28. Oktober 1872

Potsdam 28/10. 72.

Liebe Kinder!

Habt herzlichen Dank für Euere lieben Briefe, die ich des Sonntags wegen erst heute früh erhielt. Daß Du, mein lieber Ernst, Frau und Kinder wohl gefunden, und Ihr Agnes Geburtstag vergnügt gefeiert habt, freut mich herzlich. Hoffentlich wird mein lieber Ernst auch bald wieder ganz wohl sein; und ich bitte Dich dringend, liebe Agnes, halte darauf, daß Ernst sich nicht so übermässig abarbeitet; sorge, daß er Abends zu rechter Zeit schlaffen geht, und daß er auch was für || den Fuß thut, damit er sich täglich Bewegung in der frischen Luft machen kann, denn bei seinem kräftigen Körper ist das fortwährende Stubensitzen nichts. Ich fand Ernst schon nicht gut, als er ankam, und nun mußte noch dieser unerhört starke Schnupfen dazu kommen. So ließ ich ihn mit Sorge reisen; und doch konnte ich ihn nicht bereden hier zu bleiben, lassen die Männer sich doch am liebsten von ihrer Frau pflegen; und so hoffe ich auch daß ihm bald unter Deiner liebevollen Pflege besser wird, liebe || Agnes. – Ich bitte Euch aber dringend sagt mir ja immer aufrichtig, wie es Euch geht. Wenn Ihr mir was verschweigt, so habe ich nie Ruhe: Ernst habe ich in Verdacht, das er das oft thut, um mich zu schonen; so bin ich auch jetzt noch in Sorge, ob ihm auch besser ist, wie er mir schreibt. Bei dieser Gelegenheit will ich mich auch darüber aussprechen: wenn bei Euch einer krank ist der es wünscht, daß ich hin komme oder ich Euch auf irgend eine Weise behülflich sein kann, so bitte ich dringend, es zu schreiben; ich habe ja jetzt keine bestimmte Pflichten zu erfüllen, kann also jeden Augenblick || gleich kommen, und wie lieb ist es mir, wenn ich mit meinen schwachen Kräften noch etwas leisten kann; denn das ist es ja was mir so schwer wird, mich mit Geduld darin zu finden, daß ich keinen Beruf habe a irgend jemand was zu sein. –

Für Ernst war der Auffenthalt hier keine Erholung, er hatte ja den ganzen Tag zu arbeiten; mir ist aber sein Hiersein eine große Erquickung gewesen; freilich muß ich mich nun wieder in mein einsames, stilles Leben einrichten. Nun, wenn ich nur immer || Gutes von meinen Kindern höre. –

Gestern früh war ich in der Kirche, und machte noch her nach einen Besuch bei der Frau Prediger Eltester geb. Einbeck; wir sprachen viel von alten Zeiten. Dann ging ich zu Karl, wo ich zu Mittag aß und auch den Abend blieb. Nachmittag war solch herrliche Beleuchtung, daß wir alle in die obere Stube gingen, um die Aussicht zu geniessen; wir wünschten uns recht den Ernst her, der hätte ein prächtiges Aquarellbild machen können. ||

Ich freue mich mit Dir, lieber Ernst, daß Gegenbauer Dir sein Werk gewidmet hat. Auch wird es Dich beruhigen, daß Frommann im November den Druck Deiner Schwämme beendigen wird. Nun mußt Du aber auch vernünftig sein, und Dich nicht so aufregen lassen. Mehr Seelenruh muß mein Ernst noch bei seinen Arbeiten erringen; hat doch der Mensch immer an sich zu arbeiten. – Heute wirst Du nun Deine || Vorlesungen angefangen haben. Mögen sie Dir Freude machen. Mir ist es deshalb lieb, daß Du dann wenigstens auf Augenblicke die Schwammgedanken loos wirst. –

Wie werde ich mich mit Dir freuen, wenn die Arbeit fertig ist; aber dann fange nur nicht gleich wieder solche große an. Wenn es Dir keine Ruhe läßt so immer mal Deine Reiseberichte vor, und sieh, was Du daraus machen kannst.

Gebt meinen beiden Lieblingen einen Kuß von mir, und Ihr Beide seid innig gegrüßt von

Euerer

alten Mutter Lotte. ||

Vergiß nicht, lieber Ernst das Geld bald an Tante Auguste, und an Frau Professor Beirich zu schicken; besonders an letztere ist es mir unangenehm, wenn es so spät kommt.

a gestr.: für

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.10.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36491
ID
36491