Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 21. Januar 1872

Berlin 21/1 72.

Mein lieber Ernst!

Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief. Daß die Krankheit der Kinder so schnell gehoben ist, freut mich; sei nur vorsichtig, wenn sie aufstehn dürfen; nach solchen Krankheiten sind die Kinder leicht reizbar und erkälten sich rasch; da sind die Folgen leicht schlimmer als die Krankheit selbst. –

Du selbst mußt auch den Schnupfen bald loos werden. –

Gott gebe, daß Ihr, Lieben, bald wieder ganz gesund und frisch sein mögt. ||

Als ich gestern vom Begräbniß kam, fand ich Deinen Brief, und wollte Dir Abends gleich antwortten, es war mir aber nicht möglich, mein Kopf war mir so wirr von aller Angst, Sorge und Schmerz; auch heute will das Schreiben nicht gut gehn, doch will ich versuchen, Deinen Wunsch zu erfüllen und Dir über den Verlauf der letzten schrecklichen Wochen zu berichten. Mittwoch, den 10ten habe ich meinen lieben Bruder zuletzt gesehn und zwar frisch und gesund. Donnerstag Abend hat er sich unwohl gefühlt. Dies hörte ich || von Clara Sonnabend Nachmittag. Sonntag früh ging ich hin mich zu erkundigen, da lag Julius zu Bette, Adelheidchen sagte mir, der Arzt hielt es für eine verschleppte Grippe, es sei nicht schlimm, er solle sich nur ruhig halten, und keinen Besuch haben. Montag Mittag da der Arzt es für Pocken erklärt, habe Julius Heinnrich gesagt, wenn er sich nicht ängstige, solle er herein kommen, er wolle ihm dicktieren, das hat er auch eine Stunde gethan und soll noch selbst unterschrieben haben. – ||

Dann ist aber die furchtbare Krankheit mit solcher Macht aufgetreten, daß der arme Bruder phantasiert hat, so heftig, daß 4 Wärtter ihn haben halten müssen. Schwester Bertha, die Dinstag Nachmittag von Blankenburg zurück gekommen war, kam gegen Abend zu mir, und sagte, sie habe Julius schlimm gefunden, dürfe nicht zu ihm, wolle aber die Nacht bei den Töchtern bleiben. Mittwoch Mittag hatte der Arzt etwas Hoffnung wieder, aber Abends kurz vor 12 ist er eingeschlaffen; unsere treue ||

Bertha und Ernst Naumann sind bei ihm gewesen. –

Donnerstag früh erfuhr ich es, ging hin und fand Bertha in Begriff zum Bahnhof zu gehn, um Theodor und Marie Bleek zu empfangen. Unsere liebe Clara kam und Nachmittags auch Karl, damit ich nicht so allein sein sollte. Freitag früh ging ich erst zu Bertha, und von da zu Sethens, Marie zu begrüssen; Heinrich aus Glogau war auch angekommen, wie auch Julius; Bertha Pine schon Dinstag von Leipzig, wo sie ihre Tante Hirzel besucht hatte. – So waren || Julius Kinder alle vereinigt; Karl Sethe, der mich eben besucht hat, war auch gestern früh gekommen, wohnt bei Helehne. –

Die Leiche war schon Donnerstagabend nach der Leichenhalle auf den Kirchhof gebracht. Dort hielt Thomas die Rede und die Beerdigung war neben Tante Adelheid auf Reimers Erbbegräbniß. Karl und Clara waren von Potsdam zu Tante Bertha gekommen, wir fuhren von dort zusammen zum Kirchhof. – Ich ging dann noch zu Vaters Grab, || das ganz beschneit war. –

Ach, lieber, lieber Ernst, wie schwer ist das Leben. Dieser letzte Schlag ist furchtbar, war Julius doch noch so in voller Lebenskraft, und so jetzt das Haupt der Famielie und wie schmerzlich wird er von seinen Untergebenen betrauert. – War er auch durch seine Berufstätigkeit in Anspruch genommen, daß man ihn nur selten sah, so war er doch für jeden bei der Hand mit That und Rath zu helfen, wo es galt. – ||

Unser Karl sah gestern wieder weniger gut aus, ich hoffe aber es war nur von der Gemüthsbewegung. Karl und Clara waren bei mir zu Mittag, Tante Bertha konnte nicht, da sie die Gerurch erwarttete; der sie geimpft hat, denn kam sie gegen Abend noch etwas; die Potsdammer fuhren um halb acht weg. –

Wirst oder hast Du Deine Frau und Dein Mädchen impfen lassen? ist Lisbeth geimpft, sonst thue es doch, die Seuche geht ja durch’s ganze Land. Du brauchst wohl nicht, weil Du die Pocken gehabt hast? – Ich kann nicht mehr schreiben. Seid alle herzlich gegrüßt von

Euerer Mutter

Lotte.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
21.01.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36450
ID
36450